Am Anfang war das Feuer, dann das Roastbeef  am Ende der Homo Sapiens. Diese überspitzte Formulierung, vielleicht eine Essenz aus Richard Wranghams »Catching Fire« greift die Gastrokritikerin und Food-Historikerin Bee Wilson in ihrem nun in deutscher Sprache vorliegenden Buch: »Am Beispiel der Gabel« (englischer Originaltitel „Consider the Fork“) mit hinreißender Eleganz und einer großen Portion Humor auf.

Wilson führt uns mit fast wissenschaftlicher Akribie – trotz ihres ungemein amüsanten, ja fast blumigen Schreibstiles – leichtfedrig auf eine Reise durch die Menschheitsgeschichte, Stationen sind dabei Töpfe, Pfannen, Messer und was sonst in unserer Küche selbstverständlich scheint.
Es empfiehlt sich, um die fundierte Recherche Wilsons zu würdigen, zunächst einen Blick in die Bibliografie und in das Kapitel »Weiterführende Literatur« am Ende des Buches zu werfen.
Dort wird die Sekundärliteratur indexiert und außerdem die einzelnen Themen mit den verwendeten Schriften beleuchtet.
Die brillante Einleitung ist voll gepackt mit Informationen. Beiläufig erfahren wir zum Beispiel, dass zu Anfang des 20 Jahrhunderts der Ruf nach besseren Gewehrläufen gleichzeitig zu einer besseren Besteck-Qualität führte, es gab den rostfreien Stahl.
Die Kapitel lauten:

  • Töpfe und Pfannen
  • Messer
  • Feuer
  • Messen
  • Zerkleinern
  • Essen
  • Eis
  • Küche

Jeder einzelne Abschnitt bietet Überraschendes und Erstaunliches. Hätten Sie gewusst, dass nach der Erfindung des Topfes, die laut Wilson um ca. 10000 v.Chr. datiert werden kann, die Lebenserwartung plötzlich enorm steigt? Die revolutionäre Technologie ermöglichte den zahnlosen Erdbewohnern eine konzentrierte Aufnahme von energiespendenden Nahrungsmitteln und damit ein verlängertes Leben.
Hier ein Zitat aus der Einleitung:

Dieses Buch erzählt die Geschichte, wie wir lernten Feuer und Eis zu zähmen, Schneebesen und Löffel zu schwingen, Reiben und Stampfer sowie Mörser und Stößel zu verwenden; und wie wir unsere Hände und Zähne einsetzten, um Nahrung in unsere Münder zu befördern.

Und die Geschichte wird ausgezeichnet erzählt. Aus der Antike werden Rezepturen von Apicius zitiert, die Langlebigkeit des Kessels auf der Feuerstelle (als universales Gefäß für alle Speisen) wird illuminiert,  Exkurse in die Sitten viktorianischer Prägung unternommen und  modernste Technologien erklärt. Interessant sind auch Erfindungen die gleich wieder in der Versenkung verschwanden, wie zum Beispiel der wasserbetriebene Quirl, die Zeichnung zeigt ein solches US-Patent von 1922.

Wasser-Quirl
Wasser-Quirl

Stellen sie sich einfach einmal die Mühe vor so ein Gerät in Betrieb zu nehmen, was ist wenn eine tropfende Leitung den reibungslosen Schlag-Vorgang negativ beeinflusst?
Oder diese Brotbackautomaten, die vor einigen Jahren in Mode kamen, und genau die gleichen Funktionalitäten bieten, die mit einem handelsüblichen Elektrobackofen viel unkomplizierter zu steuern sind, solche Anschaffungen rauben nur wertvollen Platz in ihrer Küche, die wahrscheinlich sowieso schon von unnützen Nippes verseucht ist!
Auf der anderen Seite erleichtern moderne Küchenmaschinen die Herstellung raffinierter Speisen, Arbeiten die bis zur industriellen Revolution in mühevoller Handarbeit vonstatten gingen, können heute in Minutenschnelle durch eine intelligente Küchenmaschine mit Intervallschaltung erledigt werden.
Man sieht bisweilen Fernsehköche einen Eischnee mühselig mit dem Schneebesen herstellen (der übrigens erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkam, aber noch nicht ausgereift war), ich halte das für eine archaische Tätigkeit, ein luftiger Pfannkuchenteig gelingt wunderbar mit einem elektrischen Handrührer.
Dennoch – und das ist erstaunlich – halten sich bis heute in Entwicklungsländern manuelle Arbeiten die längst von Maschinen durchgeführt werden könnten, man denke zum Beispiel an das Stampfen von Getreide im Mörser, Tätigkeiten die zumeist von Frauen durchgeführt werden.
Die Geschichte des Kochens ist auch eine Geschichte der Unterdrückung, Küchen vergangener Zeiten waren Orte unmenschlicher Kraftanstrengungen. Die Bedingungen waren hart, hohe Temperaturen, Rauchentwicklung, Enge und harte körperliche Arbeit waren die Voraussetzungen um einer privilegierten Schicht die neuesten exquisiten Kreationen zu servieren.

Das Kapitel über die Messer beschreibt die Entwicklung des Schneidewerkzeuges vom Faustkeil über die Objekte der Bronze- und Eisenzeit bis heute. Dabei werden Schnitttechniken und Messerformen im Wandel beschrieben. Im Mittelalter war es selbstverständlich ein Messer mit sich zu führen, sei es zur Verteidigung oder zur Nahrungsaufnahme, es war ein Statussymbol. Erst im Frankreich des 17. Jahrhunderts wandelte sich das Bild (vielleicht aus Sicherheitsgründen) und es entstand das Tafelbesteck. Selten habe ich ein Buch in der Hand gehalten, das so viele Informationen so unterhaltsam vermittelt.

Das Kapitel über das Essen beschäftigt sich fundiert mit Tischsitten aus vielen Jahrhunderten, kannten sie die Zick-Zack-Technik? Schneiden sie alles auf dem Teller in kleine Stücke, legen sie das Messer beiseite, und nehmen sie mit der Gabel in der rechten Hand alle Bissen in einer „Zick-Zack-Bewegung“ auf. Diese Methode war im 19. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet, bis eine noch elegantere Art der Nahrungsaufnahme Mode wurde. In diesem Kapitel erfahren sie auch alles über das Essen mit Stäbchen.
Viel mehr möchte ich hier nicht verraten, sondern rate ihnen sich selbst auf die spannende Reise durch die Kulturgeschichte des Essens zu begeben.

Mit »Am Beispiel der Gabel« hat der Insel-Verlag hat ein tadelloses und spannendes Werk herausgegeben, eine absolute Kaufempfehlung.

hier das Autoren-Video:

und hier geht es direkt zum Buch bei Suhrkamp…

über den Autor

Mathias

Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays, Reiseberichte und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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