Romeo Brodmann
Romeo Brodmann

„Saucen stillen unser unersättliches Verlangen nach Stimulationen, erfreuen Geschmacks- und Geruchssinn, Tastsinn und auch unsere Augen. Saucen sind Destillate des Verlangens“.

Harold McGee, „On Food And Cooking“
Auguste_Escoffier
Auguste Escoffier, Quelle:Wikipedia
Romeo Brodmann ist Verlagsleiter des GastroJournal und édition gastronomique. Vor allem aber ist Brodmann ein Schweizer Meisterkoch mit profunden Kenntnissen. Seine besondere Aufmerksamkeit richtet er auf die Herstellung von Saucen, ein anderer Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ausbildung junger Köche. Brodmann versteht es,  Tradition und Moderne zu verschmelzen. Seine technische Finesse, sein Wissen, seine Affinität zu den Saucen-Kreationen der Französischen Küche und sein Gespür für feine Geschmacks-Nuancen machen dieses eBook lesenswert.

André Jaeger schreibt in seinem Vorwort von einer „enormen Fleissarbeit“. Damit hat er recht, aber reicht das aus,  dieses Werk adäquat zu beschreiben? Müssen wir nicht vielmehr ein anderes Wort finden, um diese Arbeit zu verstehen?
In meiner Vorstellung erscheint der Begriff des „Fetischismus“. Dürften wir die gängige Definition erweitern und daraus einen „Positiven Fetischismus“ ableiten, so läge uns hier der Beweis dafür vor!

Brodmanns Vorwort ist ein Paukenschlag.  Er kritisiert die Praxis der Convenience, die uns immer weiter vom wahren Genuss entfernt und zu einer Art „Massengeschmack“ führt.

Nur Wenige beherrschen die Kunst eine Sauce von technischer und aromatischer Perfektion zu kochen, darunter leidet die Individualität, vieles wird standardisiert, kommt aus der Tüte oder aus dem Tiefkühlfach.  Diese Entwicklung ist schlicht dem Kosten- und Zeitdruck in der Gastronomie geschuldet, wie Brodmann dann treffend relativiert.

Negative Auswirkungen hat dieser Zustand leider auf die Ausbildung der Jungköche, es fehlt einfach an Wissen. Unwillkürlich denke ich an unsere Schreibschrift, gibt es in Zukunft vielleicht nur noch einige Spezialisten die mit Bleistift und Papier umgehen können, weil digital alles viel schneller geht?

Nur wer die Grundtechniken beherrscht, ist in der Lage, seiner eigenen Sprache und seiner Handschrift Ausdruck zu verleihen.

Damit trifft der Autor einen Kern. Uns drängt sich der Vergleich mit  einem Musiker auf,  zum Beispiel einem Violinisten. Erst wenn die Technik beherrscht wird,  kommt der musikalische Ausdruck ins Spiel, erst dann wird einer Komposition der eigene Stempel aufgedrückt, erst dann kann die ganze Farbigkeit, die Dynamik eines Stücks zu voller Entfaltung gelangen.
Es ist also keine rückwärts gewandte Philosophie die hier zelebriert wird, sondern eine Besinnung auf fundamentale Erkenntnisse,  die auch heute noch in der modernen Küche angewendet werden.
Wir sind daran interessiert authentisch zu genießen, für mich ist das ein Grundaspekt dieser Veröffentlichung. Schluss mit dem Einerlei der Texturen, statt dessen bitte echten Geschmack!

Bevor Sie mit der Lektüre des eBooks beginnen,  empfiehlt sich ein Blick auf die Bibliografie. Unter anderem wird dort der »Viandier« erwähnt.
Der Viandier ist das bedeutendste Kochbuch aus dem späten Mittelalter und hat die damalige Küche entscheidend geprägt.
Gegenüber dem frühen Mittelalter wurden die Saucen verbessert, auch eine Klare Suppe findet Erwähnung. Sehr plastisch schildert uns das Rezept der »Dodine Rouge« wohin seinerzeit die geschmackliche Reise führte: In Rotwein getauchtes gegrilltes Brot, in Speck gebratene Zwiebeln, Zimt, Muskat, Gewürznelken, Zucker und Salz, Entenfett. Das Gemisch wurde unter den sich drehenden Bratspieß gestellt, so daß Bratensaft hineintropfen konnte. Eine Kalorienbombe!

Auf die Spanische Sauce verzichtet Brodmann – wie ich meine – zu recht. Im Prinzip handelt es sich dabei ja um einen „aufgemotzten“ Fond mit dem praktisch jede Saucenzubereitung automatisiert werden kann. Bis in das 20.Jahrhundert wurde von dieser Basis-Sauce ausgiebig Gebrauch gemacht, erst durch die Nouvelle Cuisine wurden leichte, frische und raffinierte Zubereitungen neu belebt.
Paul Bocuse über die Spanische Sauce:

Au milieu de chefs cuisiniers gris du matin au soir, les jeunes s’amusent. La nuit, ils récupèrent des crânes dans les catacombes pour les introduire discrètement dans „l’espagnole“, l’une des sauces de base de la cuisine classique qui exigeait cinq heures de travail au minimum et mijotait en permanence sur les fourneaux.


Frei übersetzt: Von morgens bis abends vergnügte sich die Jugend inmitten der erfahrenen Küchenchefs. Des nachts aber mussten sie bei klarem Verstand sein,  um in die Geheimnisse der „Spanischen Sauce“ eingeweiht zu werden, eine der Basis-Saucen der klassischen Küche, die mindestens fünf Stunden bei geringster Hitze ständig gerührt werden musste.

Der Technische Teil des eBooks beginnt mit einem Schema der Saucen-Familien, hier zeigt sich ein wenig die Schwäche des eBooks. Solche großen Tafeln sind vielleicht nicht ganz für dieses Format geeignet.

Paul Bocuse „ Le feu sacré“, Éditions Glenat, 2005

Brodmann geht dann intensiv auf die Grundlagen ein: Fleischbrühe, Fonds, Glaces. Akribisch werden die einzelnen Schritte erklärt. Was mir besonders gut gefällt:
Sehr viele Schritt-Für-Schritt Fotos erleichtern uns das Nachkochen der Saucen. Hier zum Beispiel  die Zugabe von Gemüse und das Anrösten der Kalbsknochen.

Gemüse hinzufügen
Gemüse hinzufügen
Kalbsknochen rösten
Kalbsknochen rösten

Diese sachlich gestalteten Aufnahmen ziehen sich wie ein roter Faden durch das eBook. Durch die vielen Bilder gewinnt die Publikation an Wert, das Ganze wird greifbarer und unterhaltsamer. Außerdem darf sich auch der Laie an die Kreation der wundervollen Saucen machen, die Schritt-Für Schritt Anleitungen sind instruktiv und logisch gestaltet.

Es wäre müßig,  das üppige Inhaltsverzeichnis im Stile einer „gängigen“ Rezension zu beschreiben, ich überlasse es dem Leser sich durch die Zubereitungen zu hangeln und die eine oder andere Sauce zu kochen. Trotzdem liefere ich Ihnen hier gerne einen kleinen Überblick über die Themen:

•    Braune und weiße Grundsaucen
•    Tomatensaucen
•    Deutsche Saucen
•    Geflügelsahnesaucen
•    Weißweinsaucen
•    Béchamelsaucen
•    Buttersaucen – auf der Basis von Eiern, gebunden und schaumig
•    Warme und kalte englische Saucen
•    Ölsaucen
•    Kalte Saucen auf Sahnebasis
•    Gelees und Sulzen sowie braune und weiße Sulzsaucen
•    Gebundene Mayonnaisen
•    Buttermischungen
•    Aromatisierte Öle

Das eBook erstreckt sich auf über 600 Seiten, alle Saucen sind ausführlich beschrieben viele davon mit Bildern illustriert, außerdem liefert Brodmann fast immer einen Hinweis darauf, wozu die Sauce passt.

Das Werk ist viel mehr als eine technische Abhandlung, dem Leser offenbart sich ein gewaltiger Saucen-Kosmos, eine Milchstraße der Sensorik und der Texturen.

Das Studium des Inhaltsverzeichnisses ist das reinste Vergnügen. Hörten Sie jemals von einer »Poulette-Sauce« (mit Champagnerfond), einer »Albufera-Sauce« (Pfefferschotenbutter, blonde Glace, Geflügelsahnesauce) oder  gar einer »Weissen Matrosen-Sauce« (Fischsud, Champignons, Weisswein, Cayennepfeffer)?

Erweitern Sie Ihre Horizonte und genießen Sie die Vielfalt in Vollendung!

Präzise und gleichermaßen ausführlich  beschreibt Brodmann Escoffiers Saucen, eine vielschichtige und fundamentale Publikation.
Unbedingt lesenswert ist das Vorwort von Eckart Witzigmann, einem unbestrittenen Meister seines Fachs,  ein Satz aus seiner Feder illustriert exakt Brodmanns Botschaft:

Genau hier liegt der besondere Wert dieses Buchs, welches in moderner Form die Ideen und Techniken von Escoffier aufgreift und sorgsam adaptiert. Es ermöglicht dem Leser Schritt für Schritt in den inneren Aufbau der Saucen – deren Konstruktion – einzusteigen und so das notwendige Wissen über die dazu erforderlichen handwerklichen Techniken zu erfahren und in der eigenen Küche als Grundtechnik zu adaptieren.

Ich kann dieses eBook uneingeschränkt empfehlen, sei es für den Fachmann, der auf ein wertvolles Kompendium zurückgreifen kann, oder für den Laien, der mit damit seine Horizonte erweitern darf und vielleicht ganz neue Perspektiven entdeckt. Der Duktus ist klar und bündig. Und schließlich: Es ist keine Ansammlung traditionalistischer Rezepte, sondern vielmehr ein Brückenschlag in die Moderne.

Romeo Brodmann
Saucen der französischen Küche
Mit den Rezepten der französischen Küche bis Mitte des 20. Jahrhunderts

Eckart Witzigmann (Vorwort), André Jaeger (Vorwort)

Erschienen am 17. Oktober 2014

Quellen:

Gert von Paczensky „Kulturgeschichte des Essens und Trinkens“
Harold McGee „On Food And Cooking“
Paul Bocuse „Le Feu Sacré“ Glenat
Larousse Gastronomique
Paul Bocuse „Die Neue Küche“

UPDATE:

Die Druckausgabe der Édition gastronomique wird zur Zeit mit ca. 400,00 € gehandelt, manchmal etwas darunter, manchmal über diesem Preis.
Inzwischen ist das Buch ein echtes Sammlerstück.

über den Autor

Mathias

Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays, Reiseberichte und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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