bocuselachs

Lachsschnitzel nach den Gebrüdern Troisgros. Foto: Jean-Pierre Chatelin

[typography font=”Abril Fatface” size=”20″ size_format=”px” color=”#e1cca1″][dropcap]P[/dropcap][/typography]aul Bocuse, Ritter der Ehrenlegion, Koch des Jahrhunderts, Revolutionär am Herd, fanatischer Kämpfer für die Qualität. Kein Superlativ reicht aus, diesen begnadeten Koch und Showman zu beschreiben.

Allein sein Privatleben kann Bücher füllen, in seiner Autobiographie ( Le feu sacré, Glénat, Frankreich) aus dem Jahre 2005 verrät der Meister, der seit 55 Jahren in dreifacher Ehe lebt erstaunliches aus seiner Vita. Aber nicht um die Eskapaden eines Lebemanns zu beschreiben, oder einem
(durchaus interessierten) Leserkreis pikante Petitessen zu servieren, schreibe ich diese Rezension. Es wird hier die Geschichte einer Idee illuminiert , die jeden Gastronom kometengleich begleiten soll: Die Idee der Qualität und der Frische, der Kompass des Geschmacks.

Fünfzig Jahre nach der Geburt der Nouvelle Cuisine ist das Thema so präsent wie nie. In den Supermärkten wird uns eine Illusion der Frische in bunten Farben präsentiert:  Vegetarisch, vegan, biologisch, aus artgerechter Haltung, glutenfrei, hausgemacht, in Freilandhaltung (Eier), lactosefrei, fettarm, ohne Konservierungsstoffe, ohne künstliche Aromastoffe, ohne Zucker, salzarm, mit Vitamin C, mit Vitamin B, mit Ballaststoffen, es fehlt mir die Zeit und der Sinn die Liste fortzuschreiben, denn sie ist ein Abbild des Verlangens einer ängstlichen Gesellschaft.

Das Verlangen nach einer gesunden (und politisch korrekten) Ernährung ist ein religiöser Impuls der die Marken bedient. Die Werbeindustrie, deren eigene Religion der Betrug ist, weiß das, und bedient sich populistisch aus dem Fundus der Ängste : Der Tod durch schlechtes Essen schwebt über uns allen, mit Ausnahme derer die nichts zu essen haben, denn die sterben des Hungers.  Die Branche hat auf das Aufbegehren der Konsumenten reagiert und gezaubert. In den  70er-Jahren wusste man  noch genau: “Diese Fertigpizza schmeckt Scheisse!” Heute wird das gleiche Teiggericht mit camouflierten Aromastoffen versetzt,  die uns einen Geschmack der Frische vermitteln, es hat sich also nicht das Produkt, sondern die Raffinesse der Fabrikation geändert. Der Verbraucher will es so haben, und sein Wille ist Gesetz.

Zurück zu Bocuse und seiner Vorstellung des Marktes, des Wochenmarktes. Ein Zitat aus dem Vorwort von Bocuse:

Auch wenn dies überraschend wirkt, behaupte ich, dass man heute überhaupt und überall die bestmöglichen Produkte finden kann, unter anderem dank der modernen Transportmittel. Man braucht sich nur Zeit zu nehmen, zu suchen und zu beobachten, eben auf dem Markt umherzubummeln. Es ist leider so, dass unsere Zeitgenossen allmählich den Ablauf der Jahreszeiten und der von diesen beeinflussten Riten und Zeremonien zu vergessen scheinen. Man isst Spargel an Weihnachten, Erdbeeren zu Neujahr und Wild zu Ostern!…Daher sollte die Hausfrau mein Buch nicht mit der Absicht aufschlagen, gerade jetzt ein bestimmtes Gericht zu kochen. Ich rate ihr vielmehr, auf den Markt einkaufen zu gehen, und zu sehen, was gerade angeboten wird.

Im Prinzip erläutert dieses Zitat das Manifest der Nouvelle Cuisine, nicht mehr und nicht weniger. Schluss mit den schweren Saucen, her mit den leichten Sachen, lasst uns nicht über 7 oder 8 Gänge dinieren, geben wir uns mit 3 zufrieden, aber die bitte gut, und frisch, und raffiniert, eben französisch, denn das Werk geht über die französische Küche, fundamental, wie sie  vielleicht nur noch von Alain Ducasse interpretiert wird. Kann diese Philosophie der Frische nicht wie ein Protest wirken? Ja, denn wenn sie saisonale Produkte kaufen,  protestieren sie gegen die Macht der Kartelle die uns vorschreiben wollen, auch an Weihnachten Spargel zu genießen wenn der Geldbeutel stimmt, eine Bagage! Bocuse vermittelt den Respekt vor der Kreatur, eine sehr menschliche Ethik.

Das Buch

Bocuse mit  Erinnerungen an seinen Lehrer Fernand Point und einer Ode an die Improvisation die uns Köche als Schatten begleitet. Es folgt ein Abschnitt über die Mengenangaben und deren flexible Handhabung.

Ich lasse das Kapitel über die Kochkunst aus und beginne mit der Entenpastete auf Seite 53. Ein Sinnbild der Dekadenz, ein amouröser Ausflug.

Die Zutaten:
1 schöne Fleischente, Butter, Pfeffer, Salz, 500G Auslegeteig, 1 Kg Fleischfarce, 125 G feste (!) , weiße Champignonköpfe, rohe Trüffelscheiben nach Belieben ,
1 Prise Thymianblüten ( sie werden sie bekommen, strengen sie sich an, auch mit dem velo können mit Leichtigkeit Thymianbüsche abgeerntet werden) . 1 Prise pulversiertes Lorbeerblatt ( geht mit dem Blitzhacker),
1 Ei, 1/4 Liter Madeirasauce.

Die Eierspeisen sind glanzvoll, lassen sie es sich nicht nehmen eines Tages das Rezept auf Seite 60 für die pochierten Eier zu probieren, leicht, zart und cremig.

Paul Bocuse - Soupe aux Truffes Noires V.G.E., plat crŽŽ pour l'

Soupe aux Truffes V.G.E.

Die Suppen:

Bocuse unterteilt die Suppen in 2 Gruppen: die klaren Suppen und die gebundenen Suppen.

Wahrlich exklusiv ist die Soupe aux truffes Elysée, oder kurz: Soupe VGE, 1975 dem Französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing gewidmet. Es kommen Trüffeln und Gänseleber hinein. Die Suppenschüssel wird mit einem Blätterteig verschlossen. Die Suppe wird verzehrt, indem man die Teigkruste mit dem Löffel zerbricht, und die Brösel in die Schüssel fallen lässt. Übrigens stolperte Giscard d’Estaing über die sogenannte Diamanten-Affäre, er verschluckte sich an einigen Steinen, die er in den 70er Jahren als Geschenk vom afrikanischen Herrscher ( und selbst ernannten Kaiser Bokassa I ) erhielt.

[typography font=”Abril Fatface” size=”20″ size_format=”px” color=”#e1cca1″][dropcap]D[/dropcap][/typography]as Kapitel über die Saucen wird eingeleitet von einer allgemeinen Betrachtung. Bocuse weist auf die Bedeutung dieses Schlüsselkapitels hin. Nach Bocuse wird unterschieden zwischen den weißen und den braunen Saucen. Als “Mutter-Saucen” werden zwei weiße Saucen benannt: Die Béchamel-Sauce und die Samt-Sauce, sowie eine braune Sauce, die sogenannte Spanische Sauce. Einfach zuzubereiten ist zum Beispiel die Garnelen-Sauce, nehmen sie statt normaler Butter eine Krabben-Butter (dabei werden im Mörser Butter und Nordseekrabben zu gleichen Teilen zerstoßen und  gemischt). Die fertige Garnelen-Sauce hat eine schöne rosa Farbe.

Die Zubereitung der Spanischen Sauce ist äußerst aufwendig. In seiner Autobiografie “Le feu sacré” aus dem Jahre 2005 beschreibt Bocuse wie er und seine Kollegen (auch Jean und Pierre Troisgros) in die Geheimnisse der Spanischen Sauce eingeweiht werden. Das flüssige Kunstwerk soll mindestens 5 Stunden bei schwacher Hitze auf der Flamme köcheln!

flusskrebs

Krebsschwanzauflauf, Foto: Jean-Pierre Chatelin

Es folgen die Fischgerichte. Sein eigenes Restaurant in Tokyo wird mit dem Rohen Lachs »Renga-Ya« portraitiert. Den Krebsschwanzauflauf nach Fernand Point ( Fernand Point, 165-Kilo Mann und einer der führenden Köche Frankreichs in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts war der Lehrer von Paul Bocuse) werden sie so schnell auf keiner Karte finden, das Gericht ist auch für gut gefüllte Börsen eine gewisse Herausforderung. Wunderbar leicht: Die Seezunge in Champagner, am besten mit einer Fisch-Samtsauce.

Dem Rindfleisch wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Eine Augenweide (und ein Gaumenschmaus) ist das Boef à la ficelle (Ochse an der Schnur) mit Möhren, Rüben, Lauch, Kerbel, Estragon und gerösteten Weißbrotscheiben. Das Filet wird dabei leise siedend in einer leichten Gemüsebouillon zubereitet, Nouvelle Cuisine par Excellence!
Ein legendäres Gericht ist der Schinken im Heu, dabei wird ein großer ca. 3 KG schwerer Schinken vom Knochen befreit und in einem großen Schmortopf zusammen mit dem Heu pochiert. Das Fleisch nimmt während der Prozedur dann ein “grasiges” Aroma an.

 

Das Geflügel

wird umfänglich beschrieben und mit einigen umwerfenden Kreationen untermalt. Hier finden sie zum Beispiel das Rezept für die Enten-Steaks. Die Burgunder-Armagnac Sauce ist ein Gedicht!
Überhaupt zeigt sich in diesem Kapitel Bocuses große Affinität zum Federvieh.

Hasenrücken in Pfeffersauce

Hasenrücken in Pfeffersauce, Foto: Jean-Pierre Chatelin

Schon als Kind und Jugendlicher wusste Bocuse die Vorzüge einer guten Jagd zu schätzen, das Handwerk erlernte er früh von seinem Vater, die erworbenen Fähigkeiten konnte Bocuse übrigens später in den Kriegszeiten gut gebrauchen, in seiner Autobiografie werden nächtliche Angeltouren auf der Saône unter den Augen der deutschen Besatzer geschildert.
Und so ist es nicht erstaunlich, dass der Leser hier aus dem Vollen schöpfen kann. In die Kulinarischen Geschichtsbücher hat es der Hase auf königliche Art des Senators Couteaux geschafft, auch wenn die Optik vielleicht nicht jedermanns Geschmack trifft.

[typography font=”Abril Fatface” size=”20″ size_format=”px” color=”#e1cca1″][dropcap]E[/dropcap][/typography]s folgen die Ausführungen über das Gemüse. Ich empfehle an dieser Stelle das Sellerie-Püree, es wird in 2:1 Teilen mit Kartoffelpüree gemischt, so ist der starke Eigengeschmack des Selleries abgemildert, und es entsteht ein cremiges Püree mit leichtem Geschmack. Die Pommes de Terres Duchesse fehlen ebenso wenig wie das Gratin Dauphinois.

Den Abschluss bilden die Desserts und Teigspeisen. 2 Register, eines in deutscher und eines französischer Sprache runden das Werk ab.
Die Neue Küche von Paul Bocuse darf zu den Schlüsselwerken der Kochkunst gezählt werden. Bocuse ist der einzige Koch, dem es gelang 40 Jahre lang seine 3 Michelin-Sterne zu tragen, eine außerordentliche Leistung. Für die Philosophie der Küche wird das Kriterium der Frische zum zentralen Element, die Abläufe werden zudem professionalisiert. Einige der Rezepte sind leicht nachzukochen, viele andere aber den Profis in einer professionellen Küche vorbehalten. Die Nouvelle Cuisine war eine Revolution, für die Köche und für die Gäste. Bocuse war nicht der ganz große Revolutionär der Neuen Küche, er bedient sich oft der traditionellen Methoden. Durch seine Präsenz auf der kulinarischen Weltbühne konnte er aber die neuen Ideen propagieren, und der damaligen französischen Küche zu neuem Glanz verhelfen. Wie ein Haeberlin ist er seiner Heimat verbunden, und mischt Elemente der Nouvelle Cuisine mit regionalen Komponenten. Ich empfehle dieses Buch uneingeschränkt, greifen sie zu wenn sie noch antiquarisch ein Exemplar erwerben können.

über den Autor

Mathias

Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays, Reiseberichte und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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