Russia’s Cuisine, Tradition and Modernity, Chernovic
Den Planeten ernähren, Energie für das Leben
Das war das Motto der Expo 2015 in Mailand.
Technologie, Innovation, Kultur und Kreativität wurden damals mit den Themen Ernährung und Essen verbunden. Die Expo verstand sich vielmehr als Diskussionsforum denn als Leistungsschau.
Speziell für diese Expo publizierte das Gastronomic Publishing House, Chernov and Co. „Russia’s Cuisine, Tradition and Modernity“.
In seinem Vorwort schreibt Igor Bukharov, Präsident des russischen Hotelier- und Restaurantverbandes, über dieses Buch und die russische Küche:
Russia’s Cuisine ist keine Enzyklopädie, viel mehr spannt es einen kulinarischen Bogen über dieses riesige Land mit über 180 ethnischen Gruppierungen
Der Herausgeber Sergey Chernov ist ein ausgezeichneter Publizist, eloquent und mit einem Auge für Details und Ästhetik. Unter seiner Federführung wurde der „Le Grand Larousse Gastronomique“ in’s Russische übersetzt und mehrbändig herausgegeben. Auch die Schlüsselwerke von Alain Ducasse wurden vom Gastronomic Publishing House übersetzt, bearbeitet und publiziert.
Die mir vorliegende englische Ausgabe ist imposant! Auf über 456 großformatigen und reichbebilderten Seiten zeichnet Chernov ein wahrhaft fesselndes Bild seiner Heimatküche.
Jedes Kapitel beschreibt eine bestimmte Region, die Menschen und ihre Küche. Besondere Merkmale werden gleichermaßen facettenreich und unterhaltsam charakterisiert. Russische Küche ist eindeutig mehr, als Wodka und Kaviar!
Zentralrussland
Die kulinarische Reise beginnt in Zentralrussland. Brot zählt zu den wichtigsten Nahrungsmitteln, es wird mit Roggenmehl, mit Buchweizenmehl und mit Weizenmehl gebacken.
Landesweit bekannt ist das Borodino-Brot, fast ein Sinnbild der russischen Küche, sein süßliches Roggen-Aroma mit der leichten Koriander-Note ist unverwechselbar.
Kein festlicher Tisch, keine Feier, keine Party ohne einen Kuchen oder eine Pastete! Die Füllungen sind vielfältig und farbenfroh.
Der Fischreichtum Russlands ist legendär, große Flüsse wie Don, Wolga oder der Dnepr und zahlreiche Seen sorgen für eine große Auswahl an Süßwasserfischen.
Ganz oben auf der Speisekarte stehen Wels und Hecht, Letzterer wird gerne mit saurer Sahne und Meerretich zubereitet, köstlich!
Äußerst exklusiv ist der Olivier-Salat mit Flusskrebsen, Wachteleiern, Hühner-oder Wachtelbrust und Kaviar.
Das Stroganoff gehört zu den bekanntesten Gerichten aus der Region. Es wurde nach dem russischen Innenminister Alexander Stroganov benannt (1795 – 1891). Das Rezept erfordert eine besondere Tomatensauce, die sich in Zubereitung und Geschmack wesentlich von den uns bekannten italienischen Saucen unterscheidet.
Besonders stolz sind die Russen auf ihre Apfelsorten, ihnen wird ein ganzes Kapitel mit detallierten Illustrationen gewidmet.
Nordwest-Russland
Im Kapitel über Nordwest-Russland erfahren wir, wie die Herstellung der köstlichen Syrinkis funktioniert. Diese kleinen, ausgebackenen Käseküchlein werden aus Cottage-Cheese, Eiern, bei Bedarf etwas Mehl, Zucker, Salz, Butter und feiner Madagaskar-Vanille zubereitet. Das Geheimnis ist der Tvorog, also der Cottage-Cheese. Er darf weder zu flüssig noch zu trocken sein, große Meister beherrschen die Kunst, diese Dessert-Kuchen ohne Mehl zu bereiten.
Der Name des russischen Physikers Dmitri Iwanowitsch Mendelejew zieht sich unsichtbar wie ein roter Faden durch das Buch.
Sein Periodensystem wird bei ausgewählten Rezepten zitiert. Es sind Hinweise zu Elementen, die unser Körper braucht. So erfahren wir ganz nebenbei, dass das Kalium in der Zwiebel die Muskeltätigkeit anregt, sehr raffiniert!
Der Norden
Im Norden gibt es Fisch satt! Die Nähe zu Skandinavien ist spürbar, Kalakkuko klingt fast schon finnisch. Es handelt sich dabei um einen Kuchen aus gehacktem Fisch, Zwiebeln und Mehl, nicht unbedingt mein Geschmack.
Dafür hat der Lachs im Pergament einen mediterranen Touch. Er wird mit etwas Sellerie, kleinen Möhrchen, Thymian und Olivenöl in’s Pergament eingewickelt und glasig gedünstet, wunderbar!
An Weihnachten zieht der Duft der Blini durch die Gassen. Die kleinen Pfannkuchen gehören zum Fest wie bei uns die Weihnachtsplätzchen! Der russische Ethnologe Tereshchenko schreibt dazu:
Den ganzen Tag werden Blinis gebacken, aus Buchweizen- oder Weizenmehl, mit Eiern, Milch und Butter. In reichen Häusern serviert man sie mit Kaviar. Sie werden überall heiß angeboten, kalt schmecken sie nicht mehr
Wodka und Blinis, mehr als das Leben, das ist Malenitsa (ein russisches Fest)!
Der Süden
Im Süden scheint die Sonne, Gemüse und köstliche Früchte werden reichlich geerntet. Man sitzt entspannt an den Stränden des Schwarzen Meeres, aus einem Hafenrestaurant tanzt der Duft von gegrilltem Fleisch in die Nase. Die Halbinsel Taman, Abrau-Durso, Anapa, Gelendzhik, Tuapse, Temryuk, all diese Orte bilden die Töne einer wohlklingenden Melodie die unsere Seele entzückt.
Varenikis sind charakteristisch für die Küche des Südens, die Teigtaschen werden süß oder salzig gefüllt. Der Teig, manchmal mit Kefir verfeinert, wird ganz dünn ausgerollt, die Füllung – wenn sie aus Fleisch besteht – wird stets vorgekocht, das Gemüse oder die Früchte werden vor der Verarbeitung eingelegt.
Varenies nennt man die köstlichen Marmeladen, Konfitüren und Fruchtzubereitungen mit Zucker. Internationale Gourmet-Zirkel unterscheiden sehr wohl zwischen einer englischen Marmelade und einer russischen Varenie. Technisch kann man vier Arten der Herstellung definieren:
Es gibt Varenies, bei denen die Früchte im eigenen Saft gekocht werden, dabei werden die Früchte vormazeriert. Es gibt Varenies mit Honig, es gibt Varenies, die unter Zugabe von Sirups hergestellt werden und schließlich die Varenies die im Ofen zubereitet werden.
Dagestan
Weiter geht die Reise nach Dagestan, eine multikulturelle Region die von Awaren, Agulen, Darginen, Kumyken, Laken, Lesginen, den Tât, Tabassaranen, Nogaiern, Tschahuren und den Tschetschenen besiedelt wird. Das traditionelle Essen nennt man Khinkali.
Teigstücke werden in der Fleischbrühe gekocht und dann mit gesottenem Fleisch und einer Sauce serviert. Die Gegend ist arm an Gemüse aber reich an Gewürzen, so grillt man gerne Lamm- oder Rindfleischspieße über dem Feuer.
Eine besondere Delikatesse ist die Walnuss-Marmelade aus ganzen Nüssen. Die komplexe Herstellung erfordert Geduld und Erfahrung. Zwei Wochen lang werden die Nüsse eingeweicht, täglich wird das Wasser zwei Mal gewechselt, schließlich sind sie so weich, dass man sie mit einer Nadel einstechen kann. Am Ende werden die Nüsse in mehreren Stufen gekocht und mit Kräutern und Zitronensaft gewürzt, eine Wissenschaft!
Pilze
Einen besonderen Platz in der russischen Küche nehmen die Pilze ein, ihnen wird ein ganzes Kapitel gewidmet. Die Anzahl der Pilzarten in Russland ist erstaunlich, die geerntete Menge ebenso. Auswertungen ergaben, dass die Russen durchschnittlich zehn Kilogramm Pilze pro Jahr konsumieren. Die schmackhaften Waldgewächse waren schon immer äußerst beliebt, in harten Zeiten dienten sie als Fleischersatz.
Kaviar
Was wäre ein Buch über die russische Küche, ohne ein Kapitel über den Kaviar? Aus Astrachan kommt der Beluga-Kaviar, das schwarze Gold der Wolga. Nicht ganz so teuer und hochwertig ist der Sevruga-Kaviar, er ist etwas kleiner und dunkler. Um so heller und größer die Eier, um so wertvoller der Kaviar.
Es gibt gepressten Sevruga-Kaviar, der mit seinem feinen Butteraroma glänzt.
Schwarzer Kaviar wird seit langer Zeit in Russland konsumiert, in vorrevolutionärer Zeit war er aber tatsächlich eher ein Arme-Leute-Essen.
Der Brite William Coxe berichtet von einer Feier, die Katharina die Große im Jahre 1778 in ihrem Sommergarten für die Bevölkerung ausrichten ließ:
Der Tisch war mit allen möglichen Fleischsorten übersät: Pyramiden aus Brotscheiben mit Kaviar türmten sich, es gab getrockneten Stör, Karpfen und andere Fische, die mit Langusten, Zwiebeln und Gurken dekoriert waren
Heute wird der Kaviar aus Aquakulturen gewonnen, die Fischerei in der kaspischen See wurde verboten.
Neue russische Küche
Die Entwicklungen der letzen zwanzig Jahre sind nicht spurlos an Russland vorbei gegangen. Molekularküche, Degustationsmenüs, kulinarische Konstruktion und Dekonstruktion, dieses Vokabular hielt schon vor einiger Zeit Einzug in die Restaurantküchen der gehobenen Gastronomie.
Immer wieder werden gegen Russland Sanktionen verhängt mit denen die Küchenchefs kreativ umzugehen wissen. Wenn irgend möglich greift man auf regionale Produkte zurück, aus der Not wird eine Tugend gemacht. In seinem „White Rabbit“ in Moskau serviert der hochdekorierte Sternekoch Vladimir Mukhin zum Beispiel Klubskaya Buchweizen-Porridge mit gebratenen Entenherzen, Pilzen, Pinienkernen und einer Moos-Sauce.
[typography font=”Abril Fatface” size=”20″ size_format=”px” color=”#e1cca1″][dropcap]E[/dropcap][/typography]in herrliches Konzept-Kochbuch, eine sinnliche Reise durch die Regionen dieses riesigen Landes. Die hochauflösenden Fotografien illustrieren das Thema ausgezeichnet. Kleine Essays zu Küche, Land und Menschen vermitteln uns auf unterhaltsame Art und Weise wissenswerte, oft überraschende Details. Nicht umsonst erhielt das Werk den Gourmand World Cookbook Award 2015 für das beste russische Kochbuch, ein renommierter Preis!
Mich persönlich stört es nicht, dass es kein Register der Rezepte gibt. Ich sprach darüber mit dem Verleger Sergey Chernovic. Seine Idee ist es, mit diesem Buch die Vielfalt und den Reichtum der russischen Küche zu präsentieren, das Werk ist eine Bereicherung für das internationale Publikum und eine Inspiration für die russischen Leser.
Produktinformation
- Ledereinband: 456 Seiten
- Verlag: Chernova Sergei Petrovich (19. Oktober 2016)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 5989370679
- ISBN-13: 978-5989370672
- Größe und/oder Gewicht: 24,5 x 4,7 x 32,3 cm
Das Buch beziehen Sie am besten direkt beim Verleger: http://chernovic.com
Also den charmanten Kommentar vom Verleger Sergey Chernov auf seiner FB Site muss ich hier publizieren:
Ein schöner, großer Deutscher kam zu unserem Stand in Frankfurt und stellte sich als kulinarischer Blogger vor.
Es stellte sich heraus, dass er – wie ich – leckeres Essen genießt, sich mit Michelin-Köchen trifft, sie interviewt und sein gastronomisches Portal pflegt.
Er mochte unser Buch “Russia’s Cuisine” so sehr, dass er sich freiwillig meldete, um eine Rezension darüber zu schreiben.
Gestern hat Mathias sie uns geschickt – es ist ein riesiger schöner Artikel mit Fotos von unserem Buch geworden.