Brief eines Food-Bloggers an das krude Gemisch, das sich Pegida nennt und an die Agitatoren der AfD
Ich komme aus einer Familie mit Migrationshintergrund, meine Mutter ist Brasilianerin, in den 50er Jahren hat sie meinen Vater, der als Musiker in Brasilien gearbeitet hat, kennen gelernt. Ich bin zur Hälfte ein Brasilianer, auch dort geboren. Es war eine große Liebe, über Kontinente hinweg. Trotz vieler Schwierigkeiten hatte die Beziehung bis zum Tode meines Vaters Bestand. Außer der Portugiesischen Sprache, die mir mitgegeben wurde, habe ich noch einiges andere daraus gelernt, zum Beispiel, dass Zuneigung keine Grenzen kennt, Rassismus leider auch nicht. Einfach hatte meine Mutter es nicht, im Alltag immer wieder versteckte Anspielungen auf ihre Herkunft, oft auch direkte Verachtung. Einige Ereignisse waren sehr brutal, Neid und Angst gaben sich die Hand, im Ergebnis stand oft der Versuch einer Demütigung.
Ich hatte Aggressionen gegen dieses Deutschland, alles Deutsche schien mir hochmütig, arrogant, ignorant, in Stein gemeißelt. Schließlich gab es ja auch keine eigenständige Abrechnung mit der Vergangenheit, mit der Diktatur, mit dem Holocaust. Im Gegenteil, große Teile der Jurisdiktion waren Überbleibsel aus der NS-Diktatur, ich erinnere zum Beispiel an Hans Filbinger, der 12 Jahre lang Ministerpräsident in Baden-Württemberg war, obwohl man wusste, dass er als Richter ein Erfüllungsgehilfe der Nazis war und zahlreiche Todesurteile vollstrecken ließ.
Antworten habe ich in der Friedensbewegung gesucht, so gewalttätig wie die RAF das vormachte wollte ich meine System-Kritik nie leben. Die Sandinistas in Nicaragua mit ihrem charismatischen Anführer Daniel Ortega waren ein Vorbild wie man einer kapitalistischen Welt etwas entgegensetzen konnte. Das System schien mir ungerecht: So wenige Reiche und so viele Arme, warum denn?
Ich habe dann Politik studiert, danach habe ich mich durch das Leben gejobbt, als Arbeiter, als Software-Freak, als Koch, in der Werbung. Die politische Entwicklung habe ich immer verfolgt. Die „Geistig-Moralische Wende“ des Helmut Kohl war ein Einschnitt, Verlogenheit wurde zur Tugend, zur Religion. Das Ergebnis dieser viel zu langen Episode war, dass Politik für eine große Mehrheit abstoßend oder zumindest irrelevant wurde. Damals fand schon der erste allgemeine Rückzug ins Private statt, man igelte sich ein.
Der Europäische Gedanke wurde zur neuen Vision die mich begeistert hat. Endlich war der Nationalismus ein Auslauf-Modell, der Traum von einem grenzenlosen Europa war greifbar. Vielleicht würde sogar die ganze Welt beispielhaft von diesem neuen System ohne ethnologische Spannungen profitieren, ein Silberstreif am Horizont.
Tatsächlich tat sich etwas, die Menschen in der DDR rissen mit ihrer friedlichen Revolution die Mauer nieder, niemand hat damals damit gerechnet, die Stimmung war elektrisierend.
Die Sowjet-Union zerfiel, es fand ein Paradigmen-Wechsel statt, auch wir Alt-Linken oder Alt-Grünen aus der Petra Kelly – Generation waren von der Entwicklung begeistert, Demokratie und Pressefreiheit waren uns ans Herz gewachsen, ich sah auch die Ungerechtigkeiten im Kommunismus. Alexander Solschenizyn öffnete mir die Augen, das Sowjet-System war nicht so gerecht wie die Theorien von Karl Marx oder Trotzki. Das Leben in einer Welt ohne Konzentration von Eigentum und Kapital auf einige wenige ist aber immer noch hochaktuell.
Der Kapitalismus beweist bis heute eine kindliche aber trotzdem gefährliche Unreife, er trägt nicht dazu bei, Ungerechtigkeiten abzubauen, er vermehrt sie und führt zur Bildung von Kartellen, oder noch schlimmer: Dem Finanzmarkt. Theoretisch würde eine höhere Steuer auf Kapital-Erträge sofort das Diktat der Märkte beenden oder zumindest einschränken, man traut sich nicht.
Das Finanzwesen hat den Parlamentarismus in gewisser Weise außer Kraft gesetzt, Lobbyisten bevölkern das Regierungsviertel. Paradebeispiele gibt es genug, von der Automobil-Branche bis zur Pharmaindustrie viele Entscheidungen werden von der Industrie gelenkt.
Im Ideal steht die Demokratie über dem Kapitalismus sie ermöglicht es uns in die Politik einzugreifen und etwas zu bewirken. Jeder darf sagen was er will, das ist gut so, und muss so bleiben!
Nun versucht seit einiger Zeit die Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, so die kryptische und selbstentlarvende Bezeichnung dieser „Bewegung“) eine Stimmung von Hass, Rassismus und Intoleranz zu verbreiten. Dabei ist man nicht zimperlich. Wo Menschlichkeit gefragt ist, antwortet man mit Unmenschlichkeit, wo Toleranz verlangt ist brüllt man nach Intoleranz.
Angeführt wird diese Räuberbande von Lutz Bachmann (vorbestraft wegen Drogenhandel, Einbruch, Körperverletzung und Diebstahl). Bachmann versteht sich als Agitator im reinsten Sinne, mit seiner Demagogik treibt er in der Pegida-Hauptstadt Dresden Montag für Montag Gleichgesinnte auf die Straße. Ausgerechnet in Sachsen, dem Bundesland mit der geringsten Quote von Einwanderern, etabliert sich dieses krude Gemisch aus Ängstlichen und Rechten, eine Schande für die Stadt Dresden und für unser Land. Sie selbst bezeichnen sich nicht als Nazis, spätestens seit der letzten Kundgebung der Dummheit am vergangenen Montag aber hat sich Pegida endgültig demaskiert. Die Rede des Ultra-Rechten Akif Pirinçci, dem Pegida bereitwillig ein Podium für seine hasserfüllten Worte bot, ist der bisherige Höhepunkt einer Kampagne die letztendlich darauf zielt, unsere Demokratie abzuschaffen.
Die AfD gehört in die gleiche Ecke, die Europa-Feindlichkeit ist nur Camouflage um noch niedrigere Instinkte zu bedienen, dabei geht es um Fremdenhass und Aufruf zur Gewalt.
Der Blogger Sascha Lobo hat Recht, wenn er darum bittet jene Gruppe die mit rassistischem Hintergrund verfassungsfeindlich aktiv ist und zur Schande unserer Gesellschaft Flüchtlingsheime anzündet endlich als Terroristen zu bezeichnen:
Der Terrorismus hat Deutschland erreicht – und er muss politisch und medial konsequent so benannt werden. Nennt die Leute, die Flüchtlingsheime anzünden, endlich Terroristen! Denn wer eindeutig terroristische Akte wie Brandanschläge per verharmlosender Bezeichnung herunterspielt, ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wenn nur ein Zehntel der Energie, der Härte und der Entschlossenheit gegenüber Islamistenterror in den Kampf gegen den völkischen Terrorismus und seine Sympathisanten gesteckt würde – es wäre viel gewonnen.
Ich schreibe das, weil am heutigen Montag bereits wieder die nächste Kundgebung der rassistischen Nazi-Bewegung für Dresden angekündigt ist. Es wird höchste Zeit Farbe zu bekennen. Wir Blogger stehen mitten in den Medien. Pegida führt einen Krieg gegen die sogenannte „Lügenpresse“. Die Rolle der Medien in der Bundesrepublik ist es sachlich zu berichten, jeder volksverhetzende Scheiss kann und darf aber nicht 1:1 durch die Presse verbreitet werden, hier muss eine Bewertung statt finden, schließlich sind wir nicht die Erfüllungsgehilfen für Rassisten und Nazis. Es gibt sie nicht diese Lügenpresse, und es ist ein schlimmer Rückfall in finstere Zeiten, dass solche Vokabeln überhaupt wieder skandiert werden, wir Presse-Leute, Blogger, Journalisten sind Garant für Demokratie und Freiheit, uns als Lügner zu bezeichnen ist unerträglich und bar jeder Realität.
Und noch etwas: Gerade als Food-Blogger berichten wir über Strömungen und Essgewohnheiten auf der ganzen Welt, für uns darf es keinen Rassismus geben. Wir sollten viel mehr darüber nachdenken, wie das Gros der Menschen in den benachteiligten Erdteilen endlich etwas hat um satt zu werden, die Ungerechtigkeit ist es, die mir schwer im Magen liegt.
Euer Food-Blogger,
Mathias Guthmann