Ich treffe den Sternekoch Martin Scharff auf Schloss Heidelberg zum Interview. Kurz vorher stolpert er auf dem Weg in die Küche, das Bein ist ein wenig lädiert, jemand bringt einen Eimer mit Eiswasser, der Spitzenkoch entspannt sich, es entwickelt sich ein Gespräch über Kulinarik, den Sinn des Lebens und Südamerika.
Bevor ich überhaupt eine Frage stelle, gibt es ein interessantes Resümee über Grundsätzliches.
Wenn man so lange in diesem Job ist, fragt man sich natürlich, wo geht das alles hin?
Ich muss sagen, teilweise hat das alles nichts mehr mit Essen zu tun. Uns wurde vor 30 oder 35 Jahren eine andere Basis beigebracht, es ging damals in erster Linie darum, Respekt vor dem Lebensmittel zu lernen und wie man das Produkt in seiner ursprünglichen Art und Weise an den Tisch bringt. Heute wird alles zerlegt, zerschraubt, eingelegt, auseinander genommen, es hat nichts mehr mit dem zu tun, was uns damals vermittelt wurde, zum Beispiel das Produkt direkt vom Bauernhof zu beziehen und es, wenn möglich, so zu belassen, wie es ist.
Ich beobachte das sehr genau und stelle fest, dass die Köche in der Unterzahl sind, die noch ein klassisches Handwerk beherrschen, die wissen wie man kocht.
Es wird heute gerne übertrieben, der eine oder andere Koch schlägt dabei über die Stränge.
Schauen Sie sich doch einfach einmal die Teller an, die zur Zeit an den Gast gehen, teilweise sehen sie alle gleich aus. Bei jedem zweiten Foto springt ihnen doch gleich die Blutampfer Kresse ins Gesicht, die Uniformität hinterlässt in der Szene ihre Spuren. Auf Instagram oder Facebook wird kopiert und abgekupfert, es fehlt die ursprüngliche, toll gekochte Küche.
Früher hat man mit einer Ochsenbacke einen schönen Schmorfond angesetzt und dann eine geile Sauce gekocht, heute wird alles mit Niedrigtemperatur gegart, vieles hat sich einfach weit entfernt von einem klassischen Handwerk.
Ich unterscheide zwischen zwei Lagern, zum einen sind das die Köche, die mit Effekthascherei zum Erfolg kommen wollen, zum anderen die Köche die noch mit Basis und Handwerk kochen, zu denen zähle ich mich.
Handwerk ist Basis, wer das dann beherrscht, kann sich überlegen, was man draus machen kann, wenn man es nicht beherrscht, ist das für mich wie in der Malerei, schlechte, zu abstrakte Kunst.
Viele abstrakte Künstler haben aber doch eine klassische Ausbildung genossen, Picasso zum Beispiel malte doch am Anfang sehr gegenständlich.
Jeder Künstler beherrscht diese Gratwanderung, vorausgesetzt er hat eine gute Basis. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass sie gar nicht wissen, was sie tun.
Ein guter Punkt, mich stresst es als Gast, wenn ich einen Teller vorgesetzt bekomme, auf dem zwölf oder dreizehn Elemente drauf sind, ich weiß dann gar nicht, was wohin gehört und suche den Sinn in der Konstruktion.
Ja, weniger ist mehr! Ich denke aber auch, dass viele Köche einen Reifeprozess durchlaufen. Ein Koch mit 25 Jahren kocht ganz anders als einer mit 35 oder 40 Jahren.
Alle müssen diesen Prozess durchmachen, um dann auf den Trichter zu kommen, dass weniger manchmal eben mehr ist. Von vornherein lassen sich die jungen Köche das nicht sagen, das ist so ähnlich wie beim großen Bruder von dem man lernt, die Fehler muss man aber selbst machen, auch wenn sie Geld kosten, das muss man aushalten.
Weil die Sterneküche eine kostspielige Angelegenheit ist.
Ja, seit 28 Jahren habe ich den Stern, in dieser Zeit sind sehr viele Restaurants gekommen und gegangen. Oft gab es am Anfang einen gewissen Hype, der aber nicht zum Überleben gereicht hat.
Die Sterneküche ist etwas inflationär, zu meiner Zeit war ein Michelinstern noch etwas ganz Besonderes, damals gab es 200 Sternerestaurants, heute reden wir von über 300 Sternerestaurants, ein Zuwachs von 50%.
Die sogenannten Gourmetfresser geben sich teilweise gar nicht mehr mit dem einen Michelinstern zufrieden, die steigen erst ab zwei Sternen ein, von denen gibt es ja inzwischen viel mehr.
Bei den Dreisternerestaurants stimmt das Verhältnis.
Durch diese Entwicklung leiden die Restaurants mit einem Stern. Der klassische Bürger geht kaum in ein Michelinrestaurant, teilweise kann er es sich nicht leisten, außerdem liegt der Staub des Elitären darauf. Ein typischer Grund ist auch der steife Service. In der Szene steuert man dagegen, versucht etwas zu bewegen.
In so einer Stadt wie Berlin geht das, eine bunte Stadt, was die Restaurants angeht. Woanders ist das viel schwieriger.
Ich merke auch oft in Gesprächen mit Unternehmern und Sekretärinnen, dass immer noch ein ungeheurer Respekt vor der Sternegastronomie da ist. Man sagt dann einfach: Wir können uns das doch gar nicht leisten!
Auch weil der Gast manchmal wie vor einer hohen Wand steht, wenn er an die gehobene Küche denkt, es gibt Vorurteile, das ist ja Chichi oder die Portionen sind winzig…
Ja, die Sternegastronomie hat im Gastrosektor einen Marktanteil vergleichbar mit Porsche in der Autoindustrie. Diese wenigen Restaurants machen in der Szene aber die größten Randale.
Es bauen sich Hypes in den Medien auf, auch die ganzen TV-Köche und Kochsendungen tragen dazu bei.
Am Anfang wollte man den Leuten das gute Kochen beibringen, hat aber nicht so gut funktioniert, das ist dann in das Entertainment gekippt.
Man wollte im Fernsehen ja zeigen, dass alles ganz einfach ist und genauso gut schmeckt wie bei einem Super-Profi, meiner Meinung nach ist das aber schwierig.
Alfred Biolek, kein gelernter Koch, war der Vorreiter, er hat seinerzeit das Format salonfähig gemacht und die Luft etwas herausgenommen und er hat das sehr gut gemacht, hat den Menschen die Scheu vor dem Kochen genommen.
Die TV-Köche danach haben sich etwas schwer getan. Die Zuschauer bestellen sich lieber eine Pizza, öffnen eine Flasche Bier und schauen zu, wie da geschwitzt wird.
Eine Unterhaltungsmaschinerie.
Die sich daraufhin entwickelt hat, ja.
Die Erwartungen sind hoch und können nur erfüllt werden, wenn der Chef fit ist und die Crew sich keine Fehler erlaubt.
Warum haben Sie diesen beschwerlichen Weg gewählt und haben Sie ihre Entscheidung jemals verflucht?
Ich bin vom Sternzeichen Schütze, das sind kreative Menschen, außerdem bin ich Linkshänder.
Kochen ist meine Passion, meine Leidenschaft und mein Anspruch.
In meiner Lehrzeit – damals wusste ich noch nicht, dass es überhaupt Sternerestaurants gibt – hat mich mein Lehrchef einmal zusammengeschissen, weil mein Spiegelei für das Frühstücksbüffet nichts geworden ist. Ich war damals 17 Jahre alt und habe geantwortet: Ich bin für Höheres geboren.
Das Kochfieber erwischte mich dann in der Traube Tonbach, ich kam vom Landgasthof direkt in die Traube. Dort habe ich über zwei Jahre gearbeitet, durfte dann mit Wohlfahrt kochen.
Da habe ich entdeckt, was alles machbar ist. Ich habe wenig verdient damals, aber das wenige habe ich dann verfressen. Ich bin zum Stucki nach Basel gefahren, um zu sehen was die da machen oder zum Pavel Pospisil nach Bühl. Ich habe sehr viele Restaurants abgefahren, das hat mich dann richtig geflasht und habe zu mir gesagt: Das ist ein toller Beruf!
Nein, diese Entscheidung habe ich nie verflucht, vielleicht habe ich den Stress ab und zu ein wenig bedauert, es ist ja Wahnsinn, was das von einem abverlangt. Die Ermutigung hole ich mir aber immer wieder durch die vielen Menschen, auf die ich treffen darf und die Kreativität die ich einbringen kann, deswegen gehe ich diesen Weg weiter.
Auch weil Sie selbst gerne essen, nehme ich an.
Natürlich, die Grundvoraussetzung. Sie müssen sich mit Lebensmitteln auseinandersetzen. Eine große Rolle spielen für mich aber auch die Reisen, ich liebe das Reisen. Ich gehe gerne über die Märkte, da läuft die Maschinerie auf Hochtouren.
Ich war zu Beginn meiner Laufbahn schon viel unterwegs, Kalifornien, Südafrika, Asien. Diese ganzen Stilrichtungen sind in meine Küche eingeflossen.
Damals schrieb der Gault Millaut (obwohl ich schon einen Michelinstern hatte):
„Wir waren mal wieder beim jungen Martin Scharff. Er hat leider seinen Stil noch nicht gefunden. Kocht er mediterran, kocht er französisch, kocht er altdeutsch, was kocht er denn?“ Die Tester vom Gault haben immer die Schublade gesucht, wo sie mich reinstopfen können.
Bei mir gab es eben den Rehrücken aus Franken, als Vorspeise etwas Asiatisches und aus Frankreich die Gänseleber. Diesen Stil habe ich auf meinen Reisen entwickelt.
Wenn das heute jemand macht, wird das in der Presse hochgelobt, international, abwechslungsreich…
Christian Bau und die japanischen Anleihen.
Ja, man hat damals den Weg noch nicht erkannt, den viele heute gehen.
Es ist aber keine reine Fusionsküche, die Sie machen.
Nein, teilweise habe ich das aus Kalifornien mitgebracht, dort verbinden sich so viele verschiedene Küchen. Es gibt französische, italienische oder asiatische Einwanderer, daraus leitet sich die California Cuisine ab. Ich habe mir dann meine eigene Fusion daraus gebaut, auch Einflüsse aus Hongkong spielen eine Rolle. Ich habe festgestellt, dass das richtig Spaß und Laune macht, ich habe die Gewürze und die Zutaten kennengelernt, am Ende hat man dann eine Menükarte geschrieben.
Heute wird darüber nicht mehr diskutiert, damals war das ein großes Thema.
Sie wollten damals aus einer Kulinarik in Ketten ausbrechen.
Die Michelin-Kulinarik ist ein kompliziertes Metier, es gibt eine klare Trennlinie zwischen einer bürgerlichen Küche und der Hochküche. Letztere vergleiche ich gerne mit einer Show, die dem Gast Spannung, Überraschung, Erstaunen, Genuss und Sinnlichkeit bietet.
Glauben Sie, dass Ihre Gäste Sie verstehen, wollen Sie überhaupt von Ihren Gästen verstanden werden?
Sie sollten die Frage vielleicht andersrum stellen. Was tut man dafür, dass die Gäste sie verstehen?
Jeder Künstler, Musiker, jeder Kreative braucht sein Publikum.
Ein typisches Beispiel ist die Kunstszene, sie können ein wunderbares Bild malen, wenn sich niemand das anschaut, ist es leider nichts wert. Wenn aber in der Presse steht, dass das Bild bei Sothebys für eine halbe Million versteigert wurde, hat der Künstler doch sein Publikum gefunden, sonst gibt doch niemand Geld dafür aus.
Man darf nicht an den Gästen vorbei kochen.
Es sieht ganz anders aus, wenn sie ein engagierter Küchenchef sind und die Mittel von einem Mäzen zur Verfügung gestellt bekommen. Der sagt dann vielleicht zu ihnen: „Hier, bitteschön, tob dich einfach mal aus.“ Da kann es schon vorkommen, dass man einfach am Gast vorbei kocht, als Unternehmer geht das nicht, das Geld muss am Monatsende stimmen, das ist klar.
Ich habe das bei den Jeunes Restaurateurs gelernt, in erster Linie sind das Unternehmer, keine angestellten Küchenchefs, sie leben und arbeiten im Unternehmertum.
Wenn wir miteinander am Tisch sitzen, kommen wir schnell auf so ein Thema.
Wir kochen für den Gast.
Jeder Gast ist für uns gleich.
Oft wird die Frage gestellt: „Wenn ein Tester kommt, kochen Sie besonders gut für ihn?“
Nein, wir tun das nicht und es ist im Endeffekt besser, wenn wir nicht wissen, wann der Tester kommt. Ich kann nicht für einen Tester den dreifachen Rittberger machen und lasse den dann für den Gast aus.
Wäre unfair.
Ja, wäre gegenüber dem Gast unfair.
Ich komme oft mit den Gästen ins Gespräch, ein Hype ist im Moment das Gemüse in den Desserts. Ich merke dann, dass die Generation Ü60 nichts damit anfangen kann, die genießen lieber ihr Baba au Rhum oder das Mousse au Chocolat, mit solchen „überkreativen“ Geschichten können die wenig anfangen.
Obwohl die Aromatik sehr interessant sein kann bei diesen Kreationen.
Das ist wieder der Punkt, das muss beherrscht werden. Ohne Grundlagen der Patisserie kommt da zu 50% Mist dabei raus. Ich sage immer wieder: „Basics, Handwerk, Ausbildung.“
90% Transpiration und 10% Inspiration
Ja, ich zitiere den großen Sommelier Serge Dubs, der bei den Haeberlins gearbeitet hat, oder noch arbeitet.
Man hat ihn gefragt, was einen Weltklasse Sommelier ausmacht.
Seine Antwort: 80-90% sind Psychologie am Gast, der Rest ist Know How.
Viele Sommeliers erzählen dem Gast lange Geschichten, ohne zu wissen, was er eigentlich will.
Ich komme noch einmal auf Ihr Thema zurück, ist Kochen Kunst oder Handwerk?
Die Mischung macht’s, ein Beispiel für mich ist ein guter Architekt, der vor dem Studium entweder Maurer oder Schreiner gelernt hat.
Für mich hat dieser Architekt einen Vorsprung vor seinem Kollegen, der gleich in das Fach gegangen ist.
Also nicht rein akademisch arbeiten, sondern mit einem guten Schuss Praxis.
Absolut.
Der französische Meisterkoch Michel Bras ist für seine vegetarischen Kreationen bekannt. Einst schrieb er über sein Gargouillou:
„Farbbalance, Texturen, Aromen, Töne. Ich will, dass es vibriert, es ist Frühling, alles lebt. Es ist wie ein scharfkantiges Jazz-Stück, es geht in der Tonalität auf,
es prallt ab, es fängt wieder von vorne an“.
Würden Sie eines Ihrer Gerichte musikalisch beschreiben?
Musik ist für mich sehr wichtig. Zu Ihrer Frage fallen mir drei Stücke ein, die in der Dramaturgie einen riesigen Spannungsbogen haben von laut-leise und schnell-langsam. Stairway to Heaven, Music is my first Love von John Miles und Bohemian Rapsody. Die Stücke haben ein Wechselspiel der Dynamik, genauso kann ein Gericht aufgebaut werden. Es darf nicht nur laut sein oder nur leise, auch in der Klassik gibt es wunderbare Beispiele von Bach oder Beethoven, mit viel Spannung und verschiedenen Lautstärken.
Genau so wie in der Musik ist es bei einem Gericht, es muss ausgewogen sein, nicht nur Highway to Hell.
Der Teller kommt, man ist gespannt, hat einen ersten Eindruck, die Musik wird immer präsenter. Wenn ich endlich in das Gericht beiße, sind alle Sinne gespannt, ich höre förmlich den Takt, Damm-Da-Da-Damm-Da-Da-Damm-Damm. Es kommt zu Geschmacksexplosionen, alles spielt sich im Kopf ab. Langsam wird dann der Teller leer, ich trinke einen Schluck Wein dazu und das nächste Stück beginnt.
Warum kommen diese drei Stücke in der SWR Hitparade immer unter die Top-Ten? Sie gehen ans Herz, in den Kopf, haben einen weiten Spannungsbogen, so eine Komposition macht etwas ähnliches mit uns, wie ein gut aufgebauter Teller.
Ich höre da einen fast poetischen Ansatz heraus…
Absolut, Musik ist mein Steckenpferd, sie macht mir Spaß ich höre alles, natürlich abhängig von der Stimmung. Auch hier im Schlosshof bei den Festspielen höre ich gerne einem 60-Mann Orchester zu, von meiner Terrasse aus
Kürzlich war ich mit meiner Mutter in einem tollen Vitalhotel, das Meiser in Crailsheim.
Abends sitzen wir zusammen im Restaurant.
Fritz, der Wirt kommt zu mir und sagt:
„Martin, da hinten sitzt einer von Deep Purple“.
Skeptisch hebe ich die Augenbrauen, ziehe die Stirn in Falten und schaue ihn etwas ungläubig an.
„Natürlich mein Freund, hier bei dir auf dem Dorf!“
„Aber sicher“, antwortet ungerührt der Wirt.
Ich hole mein Handy heraus und zeige ihm ein Bandfoto von Deep Purple
„Ja genau, da hinten sitzt der, das ist einer von denen“, sagt Fritz und deutet auf Ian Gillan, „und außerdem noch einer von REO Speedwagon.“
Fritz hat recht, mitten in der Provinz probt Ian Gillan zusammen mit der Band REO Speedwagon für Rock meets Classic.
Am Aufzug erwische ich Ian Gillan und bekomme ein Foto mit ihm.
Immer noch ganz beseelt, fällt mir nur noch dieser Satz ein:
„Deep Purple, that’s my life!“.
Haben Sie Kinder? Und wenn ja, wie würden Sie ihnen den Sinn des Lebens begründen?
Für mich hat das etwas mit dem Glauben zu tun, wenn jemand gläubig ist, sieht er bestimmte Dinge ganz anders als jemand der nicht gläubig ist. Wenn jemand an Gott glaubt geht er mit sich selbst und dem Leben ganz anders um, als ein Mensch, der glaubt, dass zehn Kilogramm Rindfleisch und ein Topf Wasser eine gute Suppe gibt.
Auch der Respekt vor den Lebensmitteln, der Respekt vor der Kreatur sind wichtige Aspekte.
Man sollte seine Freundschaften schätzen. Es gibt Menschenfreunde und Menschenfeinde, im Gespräch zeigt sich das schnell. Ein Mensch kann die Konversation lieben und sie können sich gleich gut mit ihm unterhalten. Auf der anderen Seite gibt es Leute, mit denen werden sie in 100 Jahren nicht warm, da macht es keinen Sinn, seine Zeit zu vergeuden. Versuchen Sie einfach für sich selbst das beste herauszuziehen, natürlich mit den richtigen Menschen an der Seite.
Was nützt es uns, im geilsten Haus der Welt in Hawai am Strand zu wohnen, wenn die Nachbarn alle Arschlöcher sind?
Da wo die Menschen sind, mit denen du auskommst, ist das Glück.
Gerade auf dieser Reise nach Peru haben sich viele Freundschaften gebildet, fast alle haben zueinander gepasst, das liegt natürlich auch daran, dass sie die gleichen Interessen haben. Einer der mit Essen und Trinken nichts zu tun hat, kommt nicht auf so eine Reise mit.
Sie nehmen meine Frage vorweg:
Welche Art Publikum können Sie für diese Expeditionen gewinnen?
Das sind neugierige Feinschmecker, Gourmets, Weinliebhaber, Stammgäste geben sich auf den Reisen die Hände. Es sind Kollegen dabei, die mal über den Tellerrand schauen wollen. Natürlich auch Experten wie Ralf Bos, er war letztes Jahr dabei, wie immer auf der Suche nach neuen, interessanten Produkten.
Wo sind Sie glücklicher, zuhause oder in Ihrer Restaurantküche?
Bei mir war das immer ein fließender Übergang, ich habe fast immer da gewohnt, wo ich auch gearbeitet habe. Hier ist es nicht anders, von der Restaurantküche in meine Küche sind es 20 Meter.
Ich bin bei meiner Mutter im Wirtshaus aufgewachsen, der Stammtisch war gleichzeitig das Wohnzimmer.
Für das Familienleben ist so ein Lebenswandel nicht einfach. Manchmal nutze ich meine Küche und meine Wohnung als Rückzugsort, ich versuche mich auf mich selbst zurückzubesinnen.
Vor langer Zeit habe ich einmal bei Anton Mosimann ein Seminar besucht, Mosimann hatte in gewisser Weise eine Vorbildfunktion für mich.
Damals erzählte er mir, er hätte einen besonderen Raum nur für sich alleine, niemand außer ihm durfte dieses Kaminzimmer betreten. Zwischen allen seinen Büchern ist er dann in einem großen Sessel zur Ruhe gekommen. Er nannte diesen Raum seinen Thinking Room, dort kamen ihm die Ideen für seine Kreationen.
Wenn ich einmal die Chance habe alleine zu sein, versuche ich wieder zu mir selbst zu finden, vielleicht sogar über den Sinn des Lebens nachzudenken.
Leider kann man nicht alle Ideen verwirklichen, gerade wenn man so eine Maschinerie wie hier am Laufen hält. Ich kann nicht einfach sagen: „Ab morgen leckt mich die Welt am Arsch und ich haue für drei Monate nach Neuseeland ab.“ Dafür ist der Apparat einfach viel zu groß.
Hatten Sie jemals das Gefühl, Sie hätten auch einen zweiten Michelin-Stern verdient?
Die Frage ist, ob man das will und in welche Verantwortung man sich damit begibt.
Dürfte ich mich nur auf die Sternegastronomie konzentrieren, vielleicht mit einem großen Hotel im Rücken, dann könnte ich mir das vorstellen.
Sicher war auch das eine oder andere Gericht dabei, wo man denkt, es sei zwei Sterne wert.
Ich habe aber nie konsequent für einen zweiten Stern gearbeitet, weil ich so viele Dinge zu erledigen habe.
Sie sind Gastro-Unternehmer.
Genau. Ich habe eine interessante Vorstellung zur Testerei in der Kulinarik, die mich immer wieder verfolgt.
Stellen Sie sich eine schwarze Bühne vor mit fünf Tischen, daran sitzen die fünf wichtigsten Tester der fünf wichtigsten Gastroführer. Es werden zehn verschiedene Gerichte serviert, eine Blindverkostung wird inszeniert.
Die Tester werden nicht mitmachen…
Natürlich nicht, das würde die Gourmetwelt auf den Kopf stellen. Vielleicht hätte plötzlich das Restaurant mit einem Stern drei davon und umgekehrt.
Die nackte Wahrheit liegt auf dem Teller.
Es wird ja behauptet, das Umfeld würde keine Rolle spielen, das kann ich einfach nicht glauben. Der Mensch ist ein Mensch und keine Maschine, er lässt sich logischerweise vom Umfeld beeinflussen und stimulieren.
Das ist doch äußerst wichtig heute.
Ja, wird aber gerne abgestritten. Der Michelin behauptet, nur der Teller entscheidet, er ist für mich auch der Spitzen-Gastroführer, da kommt lange nichts dahinter.
Oft muss ich den Kopf schütteln, wenn ich an die Ergebnisse denke, aber umso älter man wird, um so langsamer schüttelt man den Kopf!
Mir ist es schon passiert, dass ich in zwei Gastroführern den gleichen Text über uns gefunden habe. Der eine schreibt vom anderen einfach ab, da frage ich mich, ob man den ganzen Zirkus überhaupt noch ernst nehmen kann.
Ich nenne das postmodernen Journalismus, Copy and Paste.
Sie haben recht, das System hat vor langer Zeit besser funktioniert, als es noch kein Internet gab. Man konnte sich keine Menüs von der Homepage herunterladen.
Es war mühseliger, man musste hinfahren und sich selbst ein Bild machen, gibt es so nicht mehr.
Die Bewertungsportale bauen zusätzlichen Druck auf und sind oft manipuliert.
Seit einigen Jahren organisieren Sie unglaublich spannende Gourmet-Reisen nach Südamerika.
Zu den Highlights zählen das Borago in Santiago de Chile, ein Dinner im MAP Café und ein Abendessen bei Astrid y Gastón in Lima. Sie waren ja noch bis zum 22.03.2019 in Lateinamerika unterwegs.
Ich teile Ihre Faszination für diesen Kontinent, da ich selbst aus Brasilien komme und einiges von der Küche dort verstehe, besonders die Küche im Nordosten ist ein Steckenpferd von mir.
Vieles ist afrikanisch geprägt, besonders in Salvador da Bahia, bis in das 19. Jahrhundert war dort das Zentrum des Sklavenhandels.
Die köstlichen Speisen leben durch hocharomatische Gewürze und den landestypischen Zutaten. Ganz wichtig ist Dendê, ein orangefarbenes Palmöl mit einem unverwechselbaren Aroma. Kokosmilch und eine kräftige Prise Pimenta Malagueta (eine Chili-Sorte) bereichern die Aroma-Leinwand. Lima in Peru darf man getrost als einen Gourmet-Hotspot bezeichnen.
Was begeistert Sie an Lateinamerika?
Die Vielfalt der Menschen, Peru ist etwas ganz Besonderes. Dort gibt es das größte kulinarische Spektrum, das liegt an den Köchen und an den extravaganten Produkten.
Die atemberaubende Natur, das Thema Anden zieht sich wie ein roter Faden durch das Land. Natürlich erzählen die Köche dort ihre Geschichte der Regionen sehr professionell und perfekt. Ich müsste hier noch weit mehr diversifizieren um so etwas zu versuchen.
Ein Produkt vom Neckartal, eines vom Schwarzwald, eines vom Bodensee usw. .
Die Menschen sind hilfsbereit und nett, es macht Laune dort, man ist unkompliziert.
In Peru lebt man seine Kultur aus, natürlich auch geprägt durch die Spanier, die das Land missioniert haben, der Katholizismus ist sehr präsent.
Wenn sie von Brasilien nach Peru fliegen, erleben sie zwei verschiedene Welten.
Ein sehr exklusives Erlebnis ist ein Dinner bei Virgilio Martinez auf über 3500 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, das ist wirklich abgefahren!
Scharff zeigt mir ein kurzes Video, in dem sich Virgilio zum Lunch ankündigt.
Könnte man Sie als fränkischen Kosmopolit bezeichnen?
Ja, könnte man sagen.
Mir fällt eine kleine Episode dazu ein. Ich war im Restaurant Maras in Lima, ausgezeichnet übrigens. Mein Handy klingelt, jemand aus dem Central fragt, ob ich noch kommen würde, Virgilio wartet schon auf mich.
Ich nahm mir schnell ein Taxi und es wurde ein langer Abend, wir haben uns über alles mögliche unterhalten.
Brasilien hat einen Präsidenten, der sich eindeutig rassistisch äußert, in Venezuela herrscht das pure Chaos. Der ganze Kontinent ist fragil, die Verhältnisse sind kompliziert, Südamerika ist ein Pulverfass.
Setzen Sie sich auch ein wenig mit der politischen Situation dort auseinander?
Leider kann ich nichts an der Situation ändern, es ist ein anderer Kulturkreis, es macht für mich wenig Sinn mich damit zu beschäftigen. Es würde mich auch gegenüber den Menschen, dem Land und der Küche zu sehr beeinflussen.
Also eher respektvolles Abwarten, anstatt als Deutscher oder Europäer Kritik zu üben?
Wir sind ja Meister darin, andere zu kritisieren.
Natürlich wird die Thematik Venezuela angesprochen. Man fragt, man interessiert sich, man ist ja direkt am Geschehen. Ich versuche aber, die Situation ohne Emotionen zu betrachten, sonst entwickelt sich das zu einem Fass ohne Boden.
Man kann das mit der endlosen Brexitgeschichte in England vergleichen, ich kann nichts daran ändern, also spare ich mir lieber die Kraft, es kommt wie es kommt.
Erst, wenn etwas entweder mich oder mein Unternehmen betrifft, setze ich mich wirklich damit auseinander.
Sie genießen das Privileg, vor einer fantastischen Kulisse arbeiten zu dürfen. Die Renaissance-Fassade gehört zu den schönsten noch erhaltenen Bauwerke dieser Art in Deutschland, jährlich besuchen mehr Touristen das Heidelberger Schloss als Neuschwanstein.
Gibt es Augenblicke, wo Sie versuchen sich vorzustellen, wie es im 16.Jhd. hier zugegangen ist?
Ich habe eine historische Mittelaltergruppe mit aufgebaut, die Pikeniere, das waren im Dreißigjährigen Krieg die Soldaten mit den Lanzen, die das Reitervolk abgewehrt haben.
In Dinkelsbühl habe ich diese Gruppe mitbegründet, natürlich als Feldkoch. Im Lager habe ich die Pikeniere mit ganzen Schweinen und Enten verpflegt.
Mir kam die Idee, für die Umzüge einen Feldlager-Kochwagen zu bauen um so zu kochen, wie man es damals tat.
Gäbe es eine Zeitmaschine, würde ich mich gerne an den Hof des Kurfürsten Karl Theodor versetzen um zu beobachten, wie man damals gearbeitet und gekocht hat.
Historienfilme schaue ich mir sehr gerne an, immer wenn ich mit dem Flugzeug unterwegs bin, schaue ich solche Filme.
Oft gibt es da Küchenszenen, wo zum Beispiel ein Huhn gerupft wird oder riesige Büffets aufgebaut werden. Es gibt mit Gerard Depardieu einen wunderbaren Film darüber.(Anm.d.Red.: Scharff bezieht sich auf Vatel, erzählt wird die Geschichte von François Vatel, einem berühmten Koch).
Das waren die Anfänge des Kochens, wir haben hier einen Backkamin und eine Ochsenbraterei. Gerne wäre ich Mäuschen gewesen, als in diesem imposanten Zweikammernbackofen für über 1000 Leute gebacken wurde, oder wie die ganzen Ochsen gegrillt wurden, wie hat das mit dem Feuer und der Glut funktioniert, sehr spannend. Das ist für mich wirklich „Back to the Roots“.
Sie finden hier auch das Deutsche Apothekenmuseum, dort gibt es einen Schrank voller historischer Kochbücher.
Es gibt ein Buch vom Hofkoch der Kurfürsten in Mainz, damit will ich mich befassen, vielleicht könnte man ja etwas daraus in die Neuzeit adaptieren.
Wie gelingt es Ihnen, hochklassige Köche oder Spitzenwinzer für Ihre Gourmetveranstaltungen auf Schloss Heidelberg zu gewinnen?
Das sind viele langjährige Freundschaften, ich versuche Freunde und Kollegen zusammen zu bringen, da entstehen auch wieder neue Freundschaften.
Die einzigartige Kulisse, trägt auch dazu bei, das ist ja kein Landgasthof in der Prärie hier, natürlich auch Heidelberg als Magnet. Es ist ein Zusammenspiel, ich konnte zum Beispiel Sascha Kemmerer aus dem Kleinwalsertal für das Festival gewinnen, einen der wenigen Sterneköche in Österreich, vor einiger Zeit war ich bei ihm und habe mich an einem Event beteiligt. Man unterstützt sich gegenseitig, man nimmt etwas mit, man sieht, wie andere Gastronomen arbeiten und kochen. Viele ehemalige Hotelfachschüler haben auch schon hier gekocht, die Schule hat viele Unternehmer herausgebracht, die freuen sich, einmal wieder in Heidelberg zu sein. Es ist ein toller Cocktail, die Mischung stimmt!
Was kochen Sie zuhause am liebsten?
Ich liebe Garnelen, mit einer guten Pasta und einem ausgezeichneten Pesto, mehr brauche ich nicht. Wenn oben noch ein Tomatenkompott aus reifen Früchten drauf kommt, wunderbar!
Dieter Müller isst das auch gerne, mit Chili…
Zum Frühstück mag ich einen Strammen Max, gutes Bauernbrot, klasse Schinken und ein Spiegelei dazu, habe ich übrigens für die Gäste in Südamerika gekocht, früher gab es das auch bei meiner Mutter.
Lieber Martin Scharff, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
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