Joachim Wissler ist einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Deutschen Küche. In seinem Restaurant Vêndome auf Schloss Bensberg serviert er seinen Gästen erstaunliche Kreationen, immer durchdacht, immer auf höchstem technischen Niveau. Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang, drei Sterne im Michelin, Koch der Köche, Koch des Jahres, um nur einige zu nennen.
Wissler hat Ideen, er hat eine Philosophie, der Erfolg gibt ihm über die Jahre recht. Mit unglaublicher Akribie arbeitet er an seinen Kreationen, er ist ein Wissenschaftler unter den Köchen.

Die wahren Schlüsselbegriffe seiner Arbeit aber sind Poesie, Sinnlichkeit und unbedingte Hingabe an den Geschmack, er ist ein Reisender in unserem Aroma-Universum.

 

MG: Der österreichische Schauspieler Oskar Werner, der durch seine Filme mit François Truffaut berühmt wurde, hat einmal gesagt:

Man sollte mit Eunuchen nicht über die Liebe reden.

Lesen Sie Kritiken?

JW: Ich lese generell jene Kritiken, die mich dazu anspornen etwas zu ändern oder etwas besser zu machen.
Ich weiß, dass das was ich mache, von Menschen gegessen und bezahlt wird.

Ich erschaffe Dinge, die für viele Menschen nicht nachvollziehbar sind, gerade wenn es um die Philosophie, die Idee, um die Zubereitung oder die Technik geht.
Ich möchte den Gästen gerne helfen, wenn sie an bestimmten Stellen des Gerichts vielleicht nicht weiterkommen oder etwas nicht gefällt.

Wenn dem Gast etwas nicht schmeckt, ist das eine Kritik, mit der ich sehr gut leben kann, auch mir schmeckt ja nicht alles, das respektiere ich. Trotzdem ist der Teller gut und ich würde ihn nicht ändern.

Wenn die Qualität in Frage gestellt wird, macht mich das natürlich nachdenklich, ich recherchiere dann im Detail. Manchmal kommt der Gast nach zwei oder drei Wochen nochmals, es gibt eher selten Kritik an meinen Menüs.

Ich lese Kritiken, aber nicht die Beweihräucherungen!

MG: Vor einiger Zeit hat der bekannte Koch und Autor Vincent Klink ein interessantes Statement in der AHGZ abgegeben, dabei ging es um die Aberkennung eines Michelin-Sterns der Auberge de l’Ill, das Restaurant ist eine Institution der französischen Haute-Cuisine. Für Marc Haeberlin und seine Köche war das ein Schock.
Zitat aus der AHGZ Januar 2019:

Jeder Kollege hat zum Michelin seinen eigenen Zugang. In jungen Jahren ist das für Köche, unter sportlichen Gesichtspunkten, verzeihlich und vielleicht auch erstrebenswert. Bei mir ist es so, dass ich nichts von Rankings halte, mir ist das alles viel zu spießig. Damit werden hauptsächlich Leute bedient, die sowieso nie in ein Sternerestaurant gehen. Das ist nichts anderes, als wenn Unsportliche sich in der ARD-Sportschau aufregen. Keiner meiner Gäste kommt wegen dem Michelin-Stern. Mein Ziel war es immer, mir eine Eigenständigkeit zu schaffen und damit meine Gäste zu überzeugen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen, die Aufregung, dass beispielsweise Marc Haeberlin über Nacht zwei linke Hände hat und Leder auf der Zunge, das überlasse ich anderen.

Was sagen Sie zu diesem Statement?

JW: Ich kenne Vincent Klink nicht sehr gut, aber ziemlich lange, aus der Ferne und von ein paar wenigen Begegnungen.

Vincent Klink wurde vom Michelin ausgezeichnet, deswegen hat man ihn  damals in Schwäbisch Gmünd in seinem „Postillon“ überhaupt wahrgenommen, man muss da ehrlich sein.
Den Guide Michelin als Zirkus abzutun wäre ungerechtfertigt!

Der Michelin legt eine große Sorgfalt an den Tag, wenn es um Kritiken geht, meistens basieren die Bewertungen nicht nur auf einem Besuch, die Restaurants werden öfters getestet.

Die Inspektoren sind stets anonym unterwegs, nach so vielen Jahren im Geschäft, kenne ich natürlich viele Inspektoren. Die Inspektoren des Michelin müssen in der Gastronomie ausgebildet sein, es gibt dort keine Quereinsteiger, sie haben in der Gastronomie gearbeitet und kennen die Hintergründe.

Klink hat in gewissen Dingen recht, als Koch darf man nicht für die guten Bewertungen des Michelin kochen, darum geht es nicht.
Man erreicht mit seiner Arbeit aber Menschen, die Wert auf diese Kritiken legen.

Vincent Klink ist in Stuttgart angekommen und macht da seit langer Zeit eine gute Arbeit, er ist ein Lokalmatador, auch in den Medien, so hat er sich seinen Background erschaffen.

Aber so ist er der Vincent nun einmal, er gibt dem Michelin gerne eine Breitseite!

MG: Ist die Kritik am Michelin zur Zeit gerade in?

JW: Vielleicht, darüber sollte man aber nicht vergessen, dass der Michelin dir auch bei deiner Arbeit hilft. Wenn jemand zu Vincent Klink geht, dann weiß er, was ihn erwartet.

Kommt jemand zu mir in’s Restaurant, weiß er das zwar auch, der Erlebnisdrang ist aber größer.
Er will bei mir eine gewisse kulinarische Experience machen, es baut sich alles auf dem Produkt und dem Geschmack auf, das ist der Unterschied zwischen uns beiden.

MG: Der Zeitaufwand für Ihre Gerichte ist außerordentlich. Zwar servieren Sie im Vêndome keine 20-Gänge Menüs mehr, nach wie vor braucht es aber eine sublime Technik und ein perfektes Küchenteam um Ihre Vorstellungen auf den Teller zu bringen.

An Ihrem Gemüsekrokant haben Sie acht Monate lang gearbeitet, man weiß ja nicht, ob die Idee am Ende funktioniert.

Haben Sie Sehnsucht nach Wahnsinn?

JW: Nein, ich habe keine Sehnsucht nach Wahnsinn, außerdem kann ich Sie beruhigen, von zehn Ideen funktionieren mindestens vier nicht!

MG: Das ist doch eine gute Quote…

JW: Ja, eine gute Quote. Man hat die Vorstellung eines Tellers, eines Gerichtes, einer Zubereitung, die man gerne geschmacklich umsetzen möchte.
Manchmal bleibt die Vorstellung auf der Strecke, weil vielleicht Technik, Aufwand und andere Faktoren das Gesamtergebnis behindern.

Man denkt dann bei sich: „Das habe ich mir geschmacklich ganz anders vorgestellt.“

Wir versuchen dann etwas zu ändern, das passiert sehr oft. Während des Entstehungsprozesses drehen sich Abläufe manchmal komplett, das Gericht kann auf einmal eine völlig andere Richtung nehmen.

Was willst du in diesem Teller zum Ausdruck bringen, was ist das Herz des Tellers? Schmecke ich das, was ich dem Gast an den Tisch bringen will oder nicht?

Man muss da sehr hart und kritisch mit sich sein, die Gerichte werden von den Gästen probiert, die natürlich meine Gedanken nicht lesen können. Die Gedanken entstehen durch das Probieren, das macht den Unterschied aus.

Das sind spannende Entwicklungen und Themen. Genau das berührt die Menschen.

MG: Wenn man Ihre Gerichte betrachtet, stellt man fest, dass sie sehr durchdacht sind. Sie verbinden Kreativität mit Intellekt.

JW: Ich scheue mich etwas davor, als intellektuell gesehen zu werden, weil Kulinarik und Intellekt schnell steril oder anonym wirken, es fehlt dann der Tiefgang.

Aber es ist in der Tat so, dass jedes Gericht sehr genau durchdacht wird. Man probiert, verwirft, probiert neu und macht es neu, manchmal wird die Kreation fallen gelassen.

Endlich gibt es dann ein Ergebnis, das ich gut finde und das der Gast dann auch nachvollziehen kann. Das ist ein wesentlicher Bestandteil, wenn ein Gericht neu entsteht.

MG: Ein Satz aus Ihrem Buch JW4:

Doppelter Denkanstoß: Zwei Ideen stecken in diesem Gang. Der Wunsch, auf dem Teller die Landschaft nachzuempfinden, in der Flusskrebse und Morcheln gedeihen. Und die Idee, eine moderne Version des Leipziger Allerleis zu kochen.

Sind Sie ein Poet, oder hätten Sie auch Kunstmaler werden können?

JW: Ich bin malerisch nicht so begabt, als Koch bin ich besser. Dürfte ich tatsächlich noch einen anderen Beruf ausüben, wäre ich gerne Architekt.

Gebäude faszinieren mich, ich bin ein großer Fan vom Bauhaus.

Da haben sich Menschen Gedanken gemacht, über Ästhetik und Funktionalität, das ist großes Können. Es sind nicht nur schöne Dinge, die das Bauhaus hervorgebracht hat. Schlicht, funktional und zeitlos, das begeistert mich!

MG: Gibt es für Sie heute den wichtigsten Menschen in Ihrem Leben?

JW: Auf jeden Fall, meine Frau!

MG: Sind Spitzenköche totale Egozentriker, müssen Sie sogar Egozentriker sein?

JW: Nein. Es gibt viele Spitzenköche, die sind so. In der Vergangenheit war das natürlich auch ein wenig unserem Klischee und unserem Verhalten geschuldet.

Wir sind aber in der Realität angekommen, wenn du als Egozentriker arbeitest, wirst du wahrscheinlich sehr bald alleine arbeiten.

…weil Ihnen das Personal davon läuft?

Die Menschen benötigen und verdienen eine gewisse Umgangsform.

MG: Hört sich so an, als wären Sie ein Gentleman in der Küche…

Ich bin kein Gentleman in der Küche, ich bin bestimmend, oft hart aber immer sehr gerecht. Wenn du höchste Leistungen bringen willst, dann musst du Menschen gewinnen, die mit dir zusammen diese Leistung schaffen wollen.

MG: Wo befindet sich die deutsche Hochküche im internationalen Vergleich?

JW: Die deutsche Hochküche wird, was ihre Qualität und das handwerkliche Können betrifft, völlig unterschätzt. Auf internationaler Ebene wird sie sogar komplett verkannt.

Bezüglich ihrer Authentizität – ich spreche von der DNA der deutschen Kulinarik – hoffe ich, dass sie in einem Entwicklungsprozess ist, der dazu führt, dass die Menschen in vielen Jahren nach Deutschland kommen um Deutschland als ein Land der Genussmenschen wahrnehmen zu können.

Man soll uns nicht nur registrieren, wenn es um Disziplin, Fleiß und um das Akkurate geht, auch nicht weil wir die besten Autos der Welt bauen.

Wir werden in der Welt nicht wahrgenommen, weil der Genuss nicht als deutsche Tugend gilt.

MG: Wo sind Sie glücklicher, zuhause oder in Ihrer Restaurantküche?

JW: Wenn ich etwas zubereiten will und meine Ruhe brauche, zuhause. Wenn ich kreativ sein will, bei der Arbeit!

MG: Welche Bedeutung hat für Sie das Wort Provokation?

JW: Provokation ist für mich bedeutend, weil man damit die Menschen dazu auffordert, sich mit etwas intensiver zu befassen.

Wenn ich jemandem eine Provokation biete, wird er viel aufmerksamer, als wenn ich etwas serviere, das er ohne große Anstrengung in sich rein isst und genau so schnell wieder vergisst.

Hinter der Provokation muss ein tieferer Sinn stecken.

Es wäre zu einfach, eine Scheibe Toast, eine Scheibe Ananas und eine Scheibe Käse zu bringen, eine Kombination die mich selbst übrigens sehr provoziert, damit komme ich nicht klar.

Man muss Dinge machen, die die Menschen zunächst einmal verunsichern.

Kürzlich hatte ich Freunde zum Essen zu Gast, von denen habe ich gehört: „Das hätte ich mir so nie bestellt, aber es war der schönste Gang des Abends.“
Mit diesen Konzepten bringt man den Gast dazu, sich der Küche anzuvertrauen.

Das hat nicht nur etwas mit Provokation zu tun, sondern auch damit, dass sich die Gäste bei mir gerne fallen lassen und dabei erfahren, was ich zum Beispiel zum Thema, Reh, Oktopus, Steinbutt und Forelle zu sagen habe.

MG: Wir sprechen von der Tiefe der Kreation, oder wie es Ferran Adrià einmal formuliert hat:

Dekontextualisierung, Ironie, Spektakel und Performance sind völlig legal, solange sie nicht oberflächlich sind, sondern auf eine gastronomische Reflexion antworten oder sich mit ihr verbinden.

JW: Genau darum geht es!

MG: Der Kreative Prozess ist kompliziert. Kreativität bedeutet nicht zu kopieren.
Nach so langer Zeit im Metier wird vieles zur Routine.

Wie gelingt es Ihnen, immer wieder etwas Neues, vielleicht sogar etwas Avantgardistisches zu schaffen?

MG: Kreativität ist bei mir eine Veranlagung, die immer abhängig zu einem Zeitabschnitt ist.

Stellen Sie sich bitte einen VW Golf vor, seit es ihn gibt, hat er sich verändert, er bleibt aber stets ein VW Golf. Stillstand ist schlecht, man kann etwas Gutes verändern oder einfach auch einmal feststellen: „Das ist nicht mehr zu verbessern.“

MG: Dokumentieren Sie den kreativen Prozess?

Ja, ich dokumentiere das. Ein Beispiel ist noch einmal dieses Gemüsekrokant.

Beim ersten Versuch wurde es mit einer ganz bestimmten Technik realisiert. In den acht Monaten der Entstehung verändert sich das Gericht und die Technik, es bekommt eine ganz andere Dynamik.

…eine Metamorphose

JW: Ganz genau.

MG: Haben Sie Zeit für ein Hobby?

JW: Ja, ich bin leidenschaftlicher Rennradfahrer.

MG: Sind Sie jemals gescheitert?

JW: Mit meiner Arbeit?

MG: Auch als Mensch, wüsste ich gerne…

JW: Eigentlich nicht.

MG: Eine Frage aus der bunten Welt des Boulevards:
Wer war der prominenteste Gast im Vêndome?

JW: Oh, da gibt es viele. Zuletzt Bono von U2.


Vor einiger Zeit jährte sich der Todestag von Senator Robert Kennedy zum fünfzigsten Mal. Zu diesem Anlass werde ich vom Axel Springer Verlag eingeladen um dort zu ein besonderes Menü zu kochen.
Es ist Prominenz aus der Wirtschaft, der Politik und aus der Industrie da.
Der Raum ist so eingerichtet wie 1968, als hätte jemand die Uhr zurück gedreht.

Wir kochen, das Dessert wird angerichtet, gerade wollen wir es an die Gäste bringen.

Plötzlich kommt jemand ganz aufgeregt herein, um den Service aufzuhalten, es sei ein wichtiger Gast eingetroffen, ein VIP.  Trotzdem lasse ich das Dessert mit dem Eis servieren bevor es schmilzt und gehe zum Salon, wo sich die Gesellschaft in der Zwischenzeit aufhält.

Dort treffe ich Katy Perry, die sich gleich für die Umstände entschuldigt.

Ich frage sie:
„Liebe Katy Perry, warum sind Sie nicht schon vorher, zum Menü gekommen?“

„Lieber Herr Wissler“, antwortet sie leicht enttäuscht, „ich hatte leider keine Einladung“.

Aber am liebsten sind mir die Gäste, die seit 20 Jahren immer wieder zu mir kommen, da hab ich einige davon, das ist schön.

Ich bedanke mich sehr für dieses Interview.

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über den Autor

Mathias

Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays, Reiseberichte und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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  • […] Ich hatte bei der Excellence das große Vergnügen ein Gespräch mit dem deutschen Meisterkoch Joachim Wissler zu führen. Er hat uns viel zu sagen, zur Kulinarik, zur deutschen Küche und zu seiner Philosophie. Das Interview lesen Sie hier… […]

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