CB: Ich differenziere das. Wenn ich sage, dass die Kochkunst nicht wahrgenommen wird, meine ich nicht den künstlerischen Wert auf dem Teller, es geht vielmehr um das Verhältnis zum Berufsstand. Ich betrachte mich selbst nach wie vor als Handwerker, nicht als Künstler.
Unsere Arbeit hat künstlerische Aspekte, die Präsentation auf dem Teller zum Beispiel.

Vorrangig geht es aber um den Geschmack, damit haben viele junge Köche ein großes Problem, ich nenne sie „Instagram-Köche“. Da kann es vorkommen, dass die Sauce keinen Gehalt hat oder das Fleisch nicht auf den Punkt gegart ist.

Wir sind Handwerker, um so höher man steigt um so höher wird der künstlerische Anspruch.

Ferran Adrià war ein Revolutionär. Er hat uns allen die Augen geöffnet, weil er vieles in Frage gestellt hat, was bis dahin das Credo war. „Der Feinschmecker“ hat gestern eine ähnliche Frage gestellt, es ging dabei darum, was heute noch von der Molekularküche übrig geblieben ist.

Meiner Meinung nach sind das vielleicht 20%, der Nachhall ist aber immer
noch gewaltig, Kochtechniken und Prozesse haben sich verändert, seit dieser Zeit arbeitet man mit Espumas und Niedrigtemperatur-Garmethoden.
Sphären, Schäumchen, Räuchern am Tisch, Stickstoff-Kompositionen, das ist zur Zeit eher weniger gefragt. Damals war das natürlich absolute Avantgarde und hat uns Köche zum Nachdenken gebracht.

Es geht wieder „Back to the Basics“, man fokussiert sich auf das Produkt. Es wird mehr reduziert, das bedeutet aber nicht unbedingt Purismus.
Das Produkt muss ganz klar herausgestellt werden. Seit Jahren servieren wir hier bei uns die besten verfügbaren Produkte weltweit, das ist unsere Philosophie, unsere Gäste wissen das zu schätzen und das hat natürlich auch seinen Preis.

MG: Am 30. Dezember 1780 schreibt Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater:
Nun bitte ich um eine schleunige Antwort. Nun muß ich schließen, dann ich muß über Hals und Kopf schreiben; komponiert ist schon alles, aber geschrieben noch nicht …
Ich möchte Sie nicht mit Mozart vergleichen, man behauptet aber, dass er seine Stücke bereits im Kopf hatte und sie nur zu Papier bringen musste.
Eine interessante Theorie.

Fügen Sie Zutaten, Gerüche, Aromen und Präsentation gedanklich zu einer
vollständigen Komposition, die dann nur noch umgesetzt werden muss?
Haben Sie eine erweitere Dimension des kulinarischen Denkens?

CB: Ja, das muss man haben, man muss das gedanklich beherrschen. Am Anfang meiner Karriere habe ich ausführlich geforscht und probiert, da waren auch Spinnereien dabei, in der Jugend macht man so etwas.

Die Ressourcen sind heutzutage nicht mehr da, man muss nachhaltig denken, ich produziere
nichts für die Mülltonne.

Mit Souveränität und Erfahrung füge ich Dinge zunächst gedanklich zueinander, auch die Intuition hilft dabei. Oft werde ich gefragt:

„Herr Bau, Sie kochen japanisch, haben Sie das bei einem großen Meister gelernt?“

Ich sage dann immer, dass ich das nicht gelernt habe, dafür habe ich die Philosophie
begriffen. Ich habe unzählige japanische Restaurants besucht, mit vielen japanischen Meistern gesprochen, diese Ideen habe ich aufgesaugt. Alles andere habe ich mir intuitiv selbst beigebracht.
Stellen Sie mir doch einfach ein paar japanische Zutaten hier auf den Tisch, zum Beispiel Miso, japanische Zitrusfrüchte wie Yuzu, Sudachi oder Mikan, eine Flasche Sojasauce und einen Fisch. Intuitiv werde ich Ihnen etwas daraus machen, beschreiben kann ich das nicht, es kommt aus dem Bauch heraus.
Der kreative Prozess beginnt im Kopf, Lebensalter und Souveränität helfen mir natürlich bei der Umsetzung.
Wenn die Idee im Kopf gereift ist, gehe ich in die Küche und spreche mit meinen Köchen.
Ohne zu wissen, um was es im Grunde geht, bereiten sie die verschiedenen Komponenten zu. Schließlich füge ich dann die Bausteine zusammen.

Das Aha-Erlebnis ist immer wieder  erstaunlich. An der Komposition wird dann so lange gefeilt, bis sich die Idee herauskristallisiert.
Verschiedene Regulatoren werden angesetzt, was muss forciert werden,
was muss zurückgenommen werden, wie ist die Garung zu behandeln? Dieser Prozess kann durchaus zwei, drei oder vier Wochen dauern. Am Ende entsteht dann ein neues Gericht, das den Gästen serviert werden kann.

über den Autor

Mathias

Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays, Reiseberichte und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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